Zeughauskino

 

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  UNTER VORBEHALT

 

UNTER VORBEHALT

 

Die Vorführung mancher Filme, die während des „Dritten Reichs“ entstanden sind, ist nur unter Vorbehalt möglich. Diese sogenannten Vorbehaltsfilme dürfen zwar gezeigt, sie müssen aber eingeführt und mit dem Publikum diskutiert werden. Ihre Vorführung soll der Aufklärung über den Nationalsozialismus dienen. Zum Korpus der Vorbehaltsfilme gehören über 40 abendfüllende Produktionen. Darunter finden sich Spielfilme wie Jud Süß oder Hitlerjunge Quex – Filme, von denen immer wieder die Rede ist, wenngleich sie kaum jemand gesehen hat. Die meisten Vorbehaltsfilme sind jedoch vollkommen unbekannt. Die Reihe UNTER VORBEHALT, die in unregelmäßiger Folge alle Vorbehaltsfilme vorstellen und diskutieren wird, möchte unter anderem dazu beitragen, das Reden über das Kino des „Dritten Reichs“ von diesen blinden Flecken der Diskussion zu befreien. Dabei wird auch die Frage eine Rolle spielen, wie wir mit dem filmischen Erbe des Nationalsozialismus umgehen möchten – und wer dieses „wir“ ist.

 

UNTER VORBEHALT

Friesennot
D 1935, R: Peter Hagen (Willi Krause), B: Werner Kortwich, K: Sepp Allgeier, D: Friedrich Kayßler, Hermann Schomberg, Valery Inkijinoff, Jessie Vihrog, 96‘ 35 mm


Friesennot verbindet als einer der frühesten nationalsozialistischen Propagandafilme eine völkisch-rassistische und eine antibolschewistische Stoßrichtung. Nach der Gründung der Sowjetunion wird eine streng religiöse wolgadeutsche Dorfgemeinschaft, die jahrhundertelang in völliger Abgeschiedenheit für sich gelebt hatte, von der neuen Zeit eingeholt. Kosaken dringen ins Dorf ein, und ein Kommissar verlangt von den Bauern immer höhere Abgaben. Als sich die Situation zuspitzt, die Soldaten sich betrinken, eine deutsche Frau vergewaltigen und die Kirche zerstören, erkennt der alte deutsche Dorfvorsteher, dass seine Appelle an Gewaltlosigkeit und Nächstenliebe keinen Sinn mehr haben. Am Ende ist das Dorf niedergebrannt, und die Deutschen brechen auf, um sich eine neue Heimat zu suchen. Der mit den höchsten Prädikaten „staatspolitisch und künstlerisch besonders wertvoll“ ausgezeichnete, vom Reichsfilmdramaturgen Willi Krause unter Pseudonym inszenierte Film nimmt wichtige Elemente späterer Werke wie Heimkehr (1941) vorweg, die von deutschen Minderheiten im Ausland handeln und Rassismus und Ausrottungsfantasien auf die Feinde projizieren. Wenn ein russischer Offizier einmal davon spricht, dass er es selbst in der Sowjetunion nicht mehr aushalte, könnte man beinahe eine Beschreibung der Diktatur in Deutschland heraushören: „In Russland kann man heute nicht mehr glücklich leben. Es ist ein unglückliches Land. Es wird mit Gewalt und Terror regiert.“ (ps)
Einführung: Günter Agde

am 15.8.2013 um 20.00 Uhr

UNTER VORBEHALT

Über alles in der Welt
D 1941, R: Karl Ritter, K: Werner Krien, M: Herbert Windt, D: Paul Hartmann, Carl Raddatz, Fritz Kampers, Berta Drews, 85‘ 35 mm


Kein anderer Regisseur hat die Mobilisierung der Deutschen für den Krieg in so vielen Filmen ins Bild gesetzt wie Karl Ritter (1888-1977). Für die Selbstmobilisierung wirbt auch der „Staatsauftragsfilm“ Über alles in der Welt, dessen episodische Erzählweise an das Tempo und die Spannung einer Reportage erinnern sollte. Anknüpfend an frühere „Heim ins Reich“-Filme wird das unbändige Verlangen mehrerer Deutscher im Ausland geschildert, nach Kriegsausbruch zurück nach Deutschland zu gelangen. In Frankreich und England werden sie jedoch vom Militär interniert. Während die Alliierten Lügen verbreiten, wächst im Film die „Volksgemeinschaft“ zu einer Verteidigungsgemeinschaft zusammen. Als Feind des „Dritten Reichs“ wird vor allem ein Jude aus Wien (Oskar Sima) herausgestellt, der die in Frankreich und England internierten Deutschen zum Einsatz gegen Hitler überreden und aus ihnen eine „Emigranten-Legion“ formen soll. Indem diese jüdische Figur zugleich als Vertreter der „Liga für Menschenrechte“ und als Spitzel des feindlichen Geheimdienstes erscheint, brandmarkt der „staatspolitisch wertvolle“ Film das Eintreten für die Menschenrechte unübersehbar als antideutsche, von Juden erdachte Lügenkampagne. (ps)
Einführung: Guido Altendorf

am 21.8.2013 um 20.00 Uhr

UNTER VORBEHALT

GPU
D 1942, R: Karl Ritter, K: Igor Oberberg, M: Herbert Windt, D: Laura Solari, Andrews Engelmann, Marina von Ditmar, Will Quadflieg, Lale Andersen, 99‘ 35 mm


Die wirkungsvolle Verschmelzung von Genrekino und Propaganda: GPU ist gleichzeitig ein spannungsreicher Agentenfilm, in dem 1939 ein Unschuldiger zum Handlanger von Terroristen wird, und ein Hetzfilm, der vor der „bolschewistischen Weltvernichtung“ warnt und die Unterwanderung scheinbar demokratischer Staaten und Organisationen durch die sowjetische Geheimpolizei schildert. Mondäne Konzertsäle wechseln ab mit finsteren Folterkellern, galante Frauen mit kaltblütigen Mördern. Ständig wechseln die Orte der Handlung, ständig wachsen Unsicherheit und Chaos. Es werden Lügen verbreitet, Menschen erpresst, Attentate verübt. Dass die GPU, die Geheimpolizei der Sowjetunion, unter dem Deckmantel der Bekämpfung der Konterrevolution seit den 1920er Jahren tatsächlich für massenhafte Erschießungen, Folterungen und Deportationen verantwortlich war, umhüllt den aufwendig hergestellten „Staatsauftragsfilm“ mit einem Anschein von Authentizität, lenkt aber nicht vom eigentlichen Zweck ab: Nachdem der Hitler-Stalin-Pakt von 1939 zwei Jahre lang die Verbreitung antibolschewistischer Propaganda verhindert hatte, rollte mit dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 auch die Feindbild-Produktion wieder an, um den Krieg zu rechtfertigen und Vernichtungsängste und Hass zu schüren. Auch der zwischenzeitlich verbotene Propagandafilm Friesennot kam 1941 unter dem Titel Dorf im roten Sturm wieder ins Kino. (ps)
Einführung: Philipp Stiasny

am 27.8.2013 um 20.00 Uhr

 

 
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