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„Wenn wir den Krieg gewonnen hätten, dann wären die Dinge vielleicht […] gar nicht so anders“, behauptet eine Figur des Films Zahnschmerzen – und benennt damit dessen hanebüchene Prämisse. Denn Michael Kehlmanns Fernsehproduktion stellt eine infame, simple Frage: Hätte sich wirklich so viel geändert, wenn die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten? Anhand der Hauptfigur Helmut, einem jungen Lehrer, der im Jahr 1977 seine Urlaubsreise aufgrund der titelgebenden Zahnschmerzen in einem faschistischen Deutschland unterbrechen muss, befragt Zahnschmerzen die Handlungszeit seiner fiktiven Geschichte nach den Kontinuitätslinien des Nazi-Regimes in die Gegenwart und parallelisiert die Entstalinisierung mit einer imaginierten Überwindung der Alt-Nazis. Es sind die kleinen Elemente, die im Film irritieren: Menschen laufen an einem Baldur-von-Schirach-Gymnasium vorbei, in Schaufenstern sind die Publikationen völkischer Autoren zu sehen, ein Kino kündigt Leni Riefenstahls neuen Film an. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bemerkte am 23.10.1975: „[Drehbuchautor] Lehmann […] läßt das Spiel durchspielen, wie die Deutschen nach dem gewonnenen Krieg […] sich zu gemilderten Herrenmenschen mausern, wie sie ihre Kriegsverbrecherprozesse (mit umgekehrten Vorzeichen) praktizieren, sich mit ihrer Rassentheorie herumplagen, […] wie sie halt eben das betreiben, was man Vergangenheitsbewältigung nennt – Lehmann spielt es durch und spielt, ohne eigentlich böse zu werden, mit diesem Spiel“ (mbh).