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Am Klavier: Günter A. Buchwald · Eröffnung der Retrospektive

Der unwahrscheinliche Fall eines philosemitischen Propagandafilms aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Im Gewand eines Melodrams prangert Der gelbe Schein die Diskriminierung der Juden im zaristischen Russland an, Deutschlands Feind im Krieg. Die Jüdin Lea (Pola Negri) verlässt nach dem Tod ihres Pflegevaters (Guido Herzfeld) die Provinz, um in Petersburg Medizin zu studieren, steht dort aber aufgrund ihres Glaubens rechtlich auf einer Stufe mit den Prostituierten. Sie führt ein Doppelleben und gerät in immer größere Verzweiflung.

Russland erscheint als Hort der Rückständigkeit und des staatlich verordneten Antisemitismus, während Deutschland im Umkehrschluss für religiöse Toleranz, Kultur und Fortschritt steht. Dass der teilweise im jüdischen Viertel von Warschau gedrehte Film mehr ist als ein Propagandafilm, liegt an der genauen Milieuschilderung, der publikumswirksamen Inszenierung und vor allem an Pola Negri in der Hauptrolle. Während sie in den Jahren danach als exzentrischer, männermordender Vamp berühmt wird, wirbt sie in der Rolle der Lea für Sympathie mit den Unterdrückten. „Diese seltsame Geschichte ist, weit über durchschnittlicher Kinodramatik stehend, logisch, psychologisch und episodisch bis ins Kleinste begründet und eingeleitet, und damit für den anspruchsvollen Zuschauer in glaubwürdige Lebensnähe gerückt.“ (Der Film, 30.11.1918) Gezeigt wird Kevin Brownlows Rekonstruktion des lange verschollenen Films, von dem erst in den 1990er Jahren Material in einer niederländischen Privatsammlung und im Staatlichen Filmarchivs Russlands identifiziert werden konnte. (ps)

Günter A. Buchwald zählt zu den Pionieren der Stummfilmrenaissance. Der Dirigent, Pianist, Violinist und Komponist begleitet weltweit Stummfilme mit Klavier und Geige.

Der gelbe Schein