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Einführung am 01.08.: Tobias Schönrock

Der Gegensatz könnte kaum größer sein: Fast zeitgleich mit seinem Zensurskandal Cyankali (1930), der die Strafverfolgung von Abtreibung im Deutschen Reich anprangert, drehte Regisseur und Drehbuchautor Hans Tintner (1894-1942) die empfindsame Romanze Die Jugendgeliebte (Goethes Frühlingstraum). Der ebenfalls vom deutschen Verleiharm der Fox Film Corporation im Mai 1930 in die Kinos gebrachte Film nimmt sich in freier Ausschmückung der literarhistorisch berühmten Sesenheimer Liebesepisode zwischen Friederike Brion und Johann Wolfgang von Goethe an.

Die Jugendgeliebte ist ein faszinierendes Zeugnis des medialen Wandels vom Stumm- zum Tonfilm in Deutschland um 1930. Denn weitgehend der Logik des Stummfilms verpflichtet, übersetzt er die Empfindungen der ersten Liebe in Bildstimmungen und eine synchronisierte Tonspur aus Musik und Liedern. Gesprochene Sprache erklingt nur ein einziges Mal: In einer Schlüsselszene wird das berühmte Gedicht Mit einem gemalten Band Friederike als Liebesbeweis rezitiert – und ausgerechnet ein Kind verleiht den in Lyrik gefassten Gefühlen Goethes eine Stimme. So verknüpft der Film auf selbstreflexive Weise die ersten, bereits auf das Genie verweisenden literarischen Versuche des späteren „Dichterfürsten“ mit den tastenden Experimenten der damals noch jungen Tonfilmtechnologie. (tsch)

Tobias Schönrock ist Doktorand an der Universität Zürich und forscht zur Übergangszeit vom Stumm- zum Tonfilm, insbesondere zum Nadeltonfilm.

Die Jugendgeliebte (Goethes Frühlingstraum)

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