
Nach dem von Neonazis verübten Brandanschlag in Mölln, bei dem 1992 drei Mitglieder der türkischen Familie Arslan umkommen, treffen in der Kleinstadt in Schleswig-Holstein säckeweise Briefe ein, in denen Menschen aus ganz Deutschland ihr Mitleid und ihre Betroffenheit ausdrücken und Trost spenden wollen. Kinder schicken Zeichnungen, es wird Geld für neues Kinderspielzeug gespendet, die überlebenden Frauen des Konzentrationslagers Ravensbrück bekunden ihre Solidarität. Die trauernde Familie Arslan bekommt von all dem nichts mit, denn die Briefe werden ihr nicht zugestellt. Sie landen im Stadtarchiv.
Ihre Auffindung knapp 30 Jahre später nimmt Martina Priessners Dokumentarfilm zum Anlass, sich gemeinsam mit der Familie Arslan erneut zu erinnern. Aus den überlebenden Kindern von damals sind Erwachsene geworden, doch der Schmerz über den Tod ihrer Schwester, einer Cousine und ihrer Großmutter existiert fort. İbrahim Arslan betreibt selbst aktive Erinnerungsarbeit, indem er seit Langem vor Schulklassen über seine Geschichte spricht. Nun macht er sich auf die Suche nach den Verfassern der Beileidschreiben. Doch warum hat die Möllner Stadtverwaltung die Briefe nicht weitergeleitet? „Wollte sie nicht als Nestbeschmutzer dastehen? Sollten die Hinterbliebenen isoliert werden, damit sie sich nicht bundesweit vernetzten? Oder war es bloß administrative Gleichgültigkeit? Noch schwerer wiegt ein anderer Verdacht: Die Toten gehörten kulturell nicht zu Deutschland und mussten darum auch nicht betrauert werden. Wären die Opfer Deutsche gewesen, dann wären die Briefe ganz gewiss an sie weitergeleitet worden.“ (Thomas Assheuer, Die Zeit, 25.9.2025) (ps)
Die Möllner Briefe
- D 2025
- DCP
-
R/B: Martina Priessner, K: Ayşe Alacakaptan, Julia Geiß, Ute Freund, Anne Misselwitz, Sch: Maja Tennstedt, M: Derya Yildirim, 101'