Von schönen Frauen und verführten Helden. Geschichten auf Armbrusten

Brigitte Reineke | 15. Januar 2020

Die Armbrustsammlung des Deutschen Historischen Museums gehört zu den bedeutendsten der Welt. Zu sehen sind die wertvollen Stücke und ihr Zubehör derzeit in der Ausstellung „Die Armbrust. Schrecken und Schönheit“. Kuratorin Dr. Brigitte Reineke erläutert für den DHM-Blog die Geschichten, die als kunstvolle Verzierungen auf den ausgestellten Jagd- und Kriegswaffen zu finden sind.

„Und es geschah zur Abendzeit, dass David von seinem Lager aufstand und sich auf dem Dach des Könighauses erging. Da sah er vom Dach aus eine Frau baden. Die Frau aber war von sehr schönem Aussehen. Und David sandte hin und erkundigte sich nach der Frau. Und man sagte: Ist das nicht Batseba, die Tochter Eliams, des Frau Urias, des Hetiters? Da sandte David Boten hin und ließ sie holen. Und sie kam zu ihm, und er lag bei ihr. […]“
(2. Samuel 11)

Der mächtige König erblickt eine weibliche Schönheit und erliegt ihrer Verführungskraft. Er begeht mit dem anschließenden Ehebruch eine Sünde. Diese Geschichte aus dem Alten Testament ist gleich auf zwei besonders dekorierten Armbrusten aus der Sammlung des Deutschen Historischen Museums dargestellt.

David erblickt Bathseba, Detail der halben Rüstung mit Reliefdekor, Süddeutschland, 1564, Inv.Nr. W 1129 © DHM

David erblickt Bathseba, Detail der halben Rüstung mit Reliefdekor, Süddeutschland, 1564, Inv.Nr. W 1129 © DHM

Auf der Armbrust mit Reliefdekor, datiert 1576, ist der Szene ein erklärendes Schriftband hinzugefügt: „DAVID ENTHAILIGT SICH MIT BERSABEA“. Auf der Unterseite der Armbrustsäule wird sie von einer weiteren biblischen Protagonistin flankiert. Es handelt sich um die alttestamentarische Figur Judith, die den abgeschlagenen Kopf des feindlichen Heerführers Holofernes präsentiert. Ähnlich wie Bathseba wird auch sie auf der Säulenseite als nackte Schönheit gezeigt.

Darstellung der Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes, Detail der halben Rüstung mit Reliefdekor, Süddeutschland, 1564, Inv.Nr. W 1129 © DHM

Darstellung der Judith mit dem abgeschlagenen Haupt des Holofernes, Detail der halben Rüstung mit Reliefdekor, Süddeutschland, 1564, Inv.Nr. W 1129 © DHM

Die zweite Bathseba-Szene findet sich auf einer außergewöhnlich farbig gefassten, reliefierten Armbrust von 1567. Die besonders detailliert ausgeführte Szene zeigt König David in dem Moment, in dem er die Schöne beim Bade erblickt und in Leidenschaft entbrennt. Die Darstellung der badenden Nackten im Wasserbassin nimmt den größten Teil der Szene ein.

David erblickt Bathseba, Detail der halben Rüstung mit farbig gefassten Reliefdekor, Süddeutschland, 1567, Inv.Nr. W 1132 © DHM

David erblickt Bathseba, Detail der halben Rüstung mit farbig gefassten Reliefdekor, Süddeutschland, 1567, Inv.Nr. W 1132 © DHM

Und sie bleibt nicht die einzige erotische Darstellung auf dieser Armbrust: Ein weiterer Mann erblickt verbotenerweise eine nackte Frau, was auch ihn ins Verderben führt: Der antike Held und berühmte Jäger Aktäon betrachtet die Jagdgöttin Diana mit ihren Gefährtinnen beim Bade, was ihm streng verboten ist. Dianas Rache lässt nicht lange auf sich warten – sie verwandelt ihn in einen Hirsch. Zu sehen ist, wie Aktäons Jagdhunde sich ihm schon gefährlich nähern und im Begriff sind, ihren eigenen Herrn zu zerfleischen. Diese Geschichte stammt aus den Metamorphosen des antiken Dichters Ovid und verziert den Backenschild unserer Jagdarmbrust.

Diana und Aktäon, Detail der halben Rüstung mit farbig gefassten Reliefdekor, Süddeutschland, 1567, Inv.Nr. W 1132 © DHM

Diana und Aktäon, Detail der halben Rüstung mit farbig gefassten Reliefdekor, Süddeutschland, 1567, Inv.Nr. W 1132 © DHM

Ähnlich wie König David erliegt Aktäon der weiblichen Verführungsmacht und wird für den verbotenen Blick auf die nackte Schönheit bestraft. Neben der ebenfalls schon erwähnten Heldin Judith ist die antike Frauengestalt Lucretia oftmals auf Armbrustverzierungen zu sehen: Auch sie wird üblicherweise nackt dargestellt, während sie den Selbstmord wählt, da sie sich nach einer Vergewaltigung ihrer Ehre beraubt sieht.

All diese Geschichten nehmen den weiblichen Körper, der die Männer ins Verderben stürzt, in den Fokus. Und die Geschichten und ihre Heldinnen kommen nicht etwa als besondere Raritäten nur auf den ausgestellten Armbrusten vor, sondern auch auf Vergleichsstücken auf anderen Waffen der Zeit. Auch dieses Phänomen lässt sich in der Ausstellung betrachten: Drei ausgewählte Hieb- und Stichwaffen der Frühen Neuzeit sind mit der Darstellung der Heldin Judith verziert. Der Waffentypus ist naheliegend, wenn man sich die Geschichte noch einmal vergegenwärtigt: Im „Buch Judith“ wird erzählt, wie das Volk von Bethulia von Holofernes und seinem Heer belagert und ausgehungert wird. Judith begibt sich unter dem Vorwand des Überlaufens zum Feind in das Feldlager des Holofernes, der ob des Besuchs der Schönen ganz verzückt ist. Bei einem Festmahl betrinkt er sich so sehr, dass er besinnungslos auf seiner Bettstatt niedersinkt. Judith ergreift die Chance und sein Schwert und enthauptet Holofernes. Mit dem Haupt des Heerführers kehrt sie in die Stadt Bethulia zurück. Die Zurschaustellung des Hauptes an der Stadtmauer entsetzt die feindlichen Soldaten so sehr, dass sie kopf- und führerlos die Belagerung abbrechen, Bethulia ist gerettet dank des mutigen Einsatzes Judiths.

Detail einer Trabantengleve, Sachsen, 1560-1580, Inv.Nr. W 2512 © DHM

Detail einer Trabantengleve, Sachsen, 1560-1580, Inv.Nr. W 2512 © DHM

In der frühneuzeitlichen Rezeption dieser Erzählung wird nicht ausschließlich der Mut der Heldin gerühmt, es mischen sich auch deutlich kritische Töne unter, die der Heldin List und Tücke unterstellen und die grundsätzlich Sympathie für den kopflosen Heerführer hegen, der der weiblichen Verführungsmacht erlag und der listigen Heldin vertraute. Ähnlich ergeht es den Heldinnen Diana, Lucretia und Bathseba, denen ebenfalls List und Tücke unterstellt wird, der die Männer zum Opfer fallen.

Besonders in der Literatur des 15. und 16. Jahrhunderts entwickelt sich daraus der geläufige Topos der „Weiberlist“, aus der die „Weibermacht“ erwächst, die den Männern offensichtlich Angst macht oder bei ihnen zumindest einen wohligen Schauer des Ungeheuerlichen auslöst. Wen wundert es, dass diese Geschichten von schlauen, mordenden oder schlicht verführerischen Frauen passenderweise auf Jagdarmbrusten wie auch auf Kriegswaffen ihren Platz finden!