Von Zeiten & Seiten – Das DHM begeht drei Bibliotheksjubiläen

Charlotte Lenz | 14. Dezember 2022

Im Jahr 2022 feiert das Deutsche Historische Museum (DHM) 200 Jahre Bibliotheken im Berliner Zeughaus. Wohl einzigartig in der deutschen Museums- und Bibliothekslandschaft begeht sie damit gleich drei Gründungsjubiläen und würdigt damit auch die Vorgängereinrichtungen, auf deren umfangreichen Büchersammlungen der heutige Bestand der Museumsbibliothek aufgebaut ist. Charlotte Lenz, Mitarbeiterin der Bibliothek, über die Geschichte der DHM-Bibliothek und ihre Vorgängereinrichtungen.

Carl Traugott Fechhelm: Die Straße unter den Linden in Berlin mit Zeughaus und Kronprinzenpalais, Öl auf Leinwand, 1785 (DHM Sammlung Kunst, Gm 96/12)

Die Geschichte des Berliner Zeughauses – die Nummer 2 auf dem Hauptstadtboulevard Unter den Linden – als bedeutendes Heeresmuseum begann 1821/22 mit den ersten Übernahmen von Waffen und Trophäen aus den Befreiungskriegen, um diese als historisch wertvolle Objekte zu sammeln, aufzubewahren und auszustellen. Bis zur tatsächlich systematischen Umgestaltung zu einem echten Artilleriemuseum nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 hatte das Zeughaus offensichtlich eine Art Doppelfunktion als Waffendepot und als Sammlung. Funde in der DHM-Bibliothek, die den handschriftlichen Besitzeintrag „Zur Waffen- und Modellsammlung im Königlichen Zeughaus zu Berlin gehörig“ zeigen, beweisen, dass bereits von Beginn an versucht wurde, neben originalen Stücken, zu denen Waffen, Uniformen, Orden und Fahnen gehörten, auch Bücher für die Arbeit mit den Objekten zu sammeln. Demnach kann in 2022 die Gründung der ehemaligen Zeughausbibliothek vor 200 Jahren als erste Vorgängereinrichtung der heutigen DHM-Bibliothek gefeiert werden.    

Budik, Peter Alcantara: Ursprung, Ausbildung, Abnahme und Verfall des Turniers, Wien: Grund, 1836 (Titelblatt ; DHM Bibliothek, M 57/1834)

Die Geschichte dieser Bibliothek wurde vor allem durch die massive Zerstörung des Zeughauses und die damit verbundenen Auslagerungen der Museumsbestände während des Zweiten Weltkrieges geprägt.

Blick in den zerstörten Westflügel des Zeughauses, unter dessen unzerstörter Zwischendecke sich die Reste der Zeughausbibliothek erhalten haben, 1949 (DHM Fotografische Sammlung, F 54/707)

Das noch heute vorhandene Aktenmaterial, ein handschriftlicher Bestandskatalog, Auslagerungs- und Bergelisten sowie archivierte Rechnungen belegen, dass der Gesamtbestand der Zeughausbibliothek 1946 auf etwa 10.000 Bände zu schätzen war, von denen bislang 4.500 Bände in der derzeitigen Büchersammlung des DHM identifiziert werden konnten. Neben kriegswissenschaftlichen Schriften wurden auch wertvolle Handschriften und Bücher über Geschichte, Geografie, Kunst sowie mit naturwissenschaftlichen Inhalten gesammelt.

Katalog der Bibliothek des Königlichen Zeughauses zu Berlin, 1. und 2. Abteilung, Berlin 1885 (Titelblatt ; DHM Bibliothek, RB 16/1710 -1)

Die Zeughausbibliothek wurde Mitte der 1940er Jahre vollständig abgewickelt, die restlichen, noch vorhanden Bestände auf andere große Berliner Bibliotheken verteilt. Dennoch sollten nur wenige Jahre vergehen, bis 1957 in das mittlerweile wieder rekonstruierte Zeughaus abermals eine Büchersammlung einzog. Das 1952 gegründete Museum für Deutsche Geschichte (MfDG) in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) öffnete seine Pforten und unterhielt bis zur Wiedervereinigung zwischen West- und Ostdeutschland 1990 ebenfalls eine große Museumsbibliothek, die demnach vor siebzig Jahren gegründet wurde.

Lesesaal der Bibliothek des MfDG,1971 (DHM Fotografische Sammlung, F 71/497)

Bereits ab Oktober 1951 engagierte sich Werner Richter, der spätere Leiter der MfDG-Bibliothek, um eine Restitution der 1948 abgegebenen Zeughausbibliotheksbestände, was ihm zu einem Großteil auch gelang. Zusammen mit 25.000 Bänden aus der ehemaligen Archivbibliothek der SED-Landesleitung Sachsen bildeten diese einen repräsentativen Grundstock für die Bibliothek. In den nächsten vierzig Jahren wurde ein Gesamtbestand von etwa 165.000 Medieneinheiten aufgebaut, der sich inhaltlich selbstverständlich an den von der DDR-Regierung vorgegebenen sozialistischen Grundprinzipien orientierte, aber auch mit Literatur aus dem kapitalistischen Ausland erweitert wurde.

1987, als eine Wiedervereinigung von BRD und DDR noch in weiter Ferne zu liegen schien, wurde dem Westteil der Stadt Berlin zum 750. Geburtstag vom regierenden Bundeskanzler Helmut Kohl ein Pendant zum MfDG übergeben – das Deutsche Historische Museum, welches als Forum der Geschichte ein Ort werden sollte, von dem aus „Antworten auf die Fragen ausgehen, wo die Deutschen herkommen, wohin sie gehen“ [1].

Unter den ersten 43 Mitarbeiter*innen des DHM befand sich auch eine Bibliothekarin, die damit begann, durch Ankäufe, Schenkungen und einen regen Tauschverkehr mit anderen Museen und Bibliotheken eine Dienstbibliothek für das Museumspersonal aufzubauen. Damit jährt sich in 2022 auch der Gründungstag der DHM-Bibliothek vor 35 Jahren.

DHM, Lesesaal und Schreibtisch in der Windscheidstraße, 1987 (Privatbesitz)

Nach der politischen Wiedervereinigung Deutschlands im Jahr 1990 fusionierten das MfDG und das DHM und damit ebenso ihre Bibliothekssammlungen. Insgesamt vier Jahre dauerte es, bis der kleinere Bibliotheksbestand des DHM signatur- und aufstellungstechnisch in den Größeren des ehemaligen MfDG integriert und zusammen mit der Belegschaft ins Zeughaus einzog. Nach weiteren sechs Jahren wechselte 2000 der Standort der Büros und des Lesesaals der DHM-Bibliothek vom Berliner Zeughaus in das Verwaltungsgebäude des DHM. Allerdings befindet sich der Großteil des mittlerweile über 260.000 Bände umfassenden Buchbestands der Bibliothek heute immer noch im Zeughaus, in einem Depot, das sich über den Nord- und Ostflügel des Dachgeschoßes erstreckt.

DHM, Buchmagazin der Bibliothek im Zeughaus, 2022

Inzwischen zählt die DHM-Bibliothek zu den bedeutendsten wissenschaftlichen Spezialbibliotheken zur deutschen Geschichte, die Literatur zu den Ausstellungen und für die Arbeit in den anderen Bereichen des Museums sammelt. Als eigenständige Sammlung stellt sie darüber hinaus Objekte für Ausstellungsvorhaben bereit. In den vergangenen 15 Jahren wurde die Bibliothek besonders technisch weit vorangebracht. Der komplette Bücherbestand ist seit 2017 nach einer Retrokonversion der Zettelkataloge in einem lokalen Online-Katalog, aber auch über den Bibliotheksverbund Bayern recherchierbar. Als kleiner berlinweiter Verbund verfügt die DHM-Bibliothek des Weiteren mit den Bibliotheken des Dokumentationszentrums Flucht, Vertreibung, Versöhnung und des AlliiertenMuseums über zwei Zweigstellen, deren Bestände die DHM-Bibliothekssammlung wunderbar ergänzen. Sie bietet sowohl den Mitarbeiter*innen des Hauses als auch externen Benutzer*innen die Möglichkeit, mit und an ihren Beständen zu arbeiten und zu forschen. Durch fachliche Kompetenz und weitreichende Serviceangebote versucht sie darüber hinaus, ihr Leistungsspektrum auch künftig auszubauen. 

DHM, Lesesaal der Bibliothek, 2022

Die Gründungsjubiläen der Zeughausbibliothek, der Bibliothek des MfDG und der DHM-Bibliothek nahmen Dr. Matthias Miller und Charlotte Lenz zum Anlass, den zahlreich bebilderten Band Seiten & Zeiten – 200 Jahre Bibliotheken im Zeughaus herauszugeben. Darin wird deren bewegende Geschichte erzählt und besondere Objekte des Bestandes vorgestellt. Das Buch ist im Onlineshop des Museums erhältlich.

Klaudia Charlotte Lenz; Matthias Miller:
Zeiten & Seiten – 200 Jahre Bibliotheken im Berliner Zeughaus
Berlin: Stiftung Deutsches Historisches Museum, 2022
978-3-86102-232-9


[1] Arnulf Scriba: Die Gründung des Deutschen Historischen Museums 1987, in: LeMO, Oktober 2021 (https://www.dhm.de/lemo/rueckblick/die-gruendung-des-deutschen-historischenmuseums-1987.html ; Letzter Zugriff: 02.12.2022)

Foto: DHM

 

 

Klaudia Charlotte Lenz

Klaudia Charlotte Lenz ist stellvertretende Leiterin der Bibliothek des Deutschen Historischen Museums