> Dezember 1912: Literaturnobelpreis für Gerhart Hauptmann

Dezember 1912: Literaturnobelpreis für Gerhart Hauptmann

Am 10. Dezember 1912 wurde der deutsche Dramatiker Gerhart Hauptmann mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet, "vornehmlich für seine reiche, vielseitige, hervorragende Wirksamkeit auf dem Gebiete der dramatischen Dichtung", wie es in der Begründung der schwedischen Akademie hieß. Nach Theodor Mommsen (1902), Rudolf Eucken (1908) und Paul Heyse (1910) war Hauptmann der vierte Deutsche, der einen Literaturnobelpreis erhielt. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern, die den Nobelpreis im hohen Alter für ihr Lebenswerk erhalten hatten, stand Hauptmann auf dem Höhepunkt seines Schaffens, als er den Preis entgegennahm. Im Jahr 2012 wurden Hauptmanns 150. Geburtstag und die Nobelpreisverleihung 100 Jahre zuvor vielerorts zum Anlass genommen, an diesen Hauptvertreter des Naturalismus zu erinnern, dessen Stücke die Zeit überdauert haben und bis heute zum gängigen Repertoire deutscher Bühnen gehören.

"Der Literaturpreis der Nobelstiftung wurde an Gerhart Hauptmann verliehen, womit die Fülle der Ehrungen, die dem deutschen Dichter zu seinem jüngst gefeierten fünfzigsten Geburtstag zuteil wurden, gekrönt worden ist. Nach den Bestimmungen Alfred Nobels soll der Literaturpreis dasjenige literarische Werk auszeichnen, das am meisten durch hohe ideale Tendenz hervorragt.", kommentierte die Leipziger Illustrirte Zeitung die Auswahl Hauptmanns und schloss mit den Zeilen: "Die Verleihung des Preises findet in Deutschland allgemeine Zustimmung". Das war nicht immer so. 1889 geriet die Uraufführung seines sozialkritischen Dramas "Vor Sonnenaufgang" zum Skandal, standen doch erstmals auf deutscher Bühne naturalistisch genau nachgezeichnet einfache Menschen im Mittelpunkt des Geschehens, geprägt von ihrer Umwelt und der eigenen Veranlagung. Der Vorzensur war das Stück nur dadurch entgangen, dass es auf Empfehlung Theodor Fontanes auf der "Freien Bühne" vor geschlossener Gesellschaft aufgeführt worden war. Der Skandal wurde vier Jahre später mit der Aufführung von Hauptmanns "Die Weber" noch übertroffen. Nun stand die anonyme Masse der schlesischen Weber im Mittelpunkt, die 1844 den Aufstand geprobt hatten, um dem sozialen Elend zu entfliehen. Als "Die Weber" 1894 für öffentliche Bühnen freigegeben wurden, kündigte Kaiser Wilhelm II. aus Protest seine Loge im Deutschen Theater und sagte der "Rinnsteinkunst" den Kampf an.

In seinen sozialen Dramen behandelte Hauptmann, so der Generalsekretär der Schwedischen Akademie, Hans Hildebrand, in seiner Laudatio "die Lebensbedingungen des kleinen Mannes, die er an vielen Orten, besonders aber in seiner schlesischen Heimat, studieren konnte. Seine Darstellung beruht auf sehr genauen Beobachtungen der Umstände und der Menschen. Jede seiner Figuren stellt eine ganz aus dem Individuellen charakterisierte Persönlichkeit dar; nirgends findet man lebensferne Typen, nirgends auch nur die Spur eines abgestempelten Charakters. [...] Der Realismus seiner Beschreibungen zwingt uns, neue und bessere Lebensbedingungen anzustreben und deren Verwirklichung zu wünschen."

Welch eine Genugtuung für den Dichter, als Prinz Wilhelm 1912 beim Bankett nach der Preisverleihung Hauptmanns Frau Margarete zu Tisch führte. Anlässlich der Ankündigung der Nobelpreisverleihung hatte Hauptmann bereits am 19. November 1912 in seinem Tagebuch notiert: "Tage eines ungeahnten allgemeinen Durchbruchs, der Nobelpreis". Diese internationale Anerkennung genoss Hauptmann in vollen Zügen und vermied jeden Kommentar zur deutschen Sozialpolitik. Auch den materiellen Teil des Preises genoss Hauptmann und brüstete sich später damit, die umgerechnet 160.000 Mark Preisgeld "in einem Jahr durchgebracht" zu haben, für private Zwecke vermutlich.

Im Mittelpunkt seiner Dankesrede stand denn auch nicht die soziale Lage der Arbeiter und Bauern, sondern der Stifter des Preises, Alfred Nobel, und der Weltfrieden, auf den er zum Abschluss einen Toast ausbrachte: "Und nun trinke ich darauf, dass das Ideal, das der Stiftung zugrunde liegt, seiner Verwirklichung immer näher geführt werden möge, ich meine das Ideal des Weltfriedens, das ja das höchste Ideal der Wissenschaft und der Kunst in sich schließt. Die Kunst und die Wissenschaft, die dem Kriege dient, ist nicht die höchste und echte, die ist es, die der Friede erzeugt und die den Frieden erzeugt. Und ich trinke auf den großen letzten und rein idealen Nobelpreis, den die Menschheit dann sich wird zuerkennen dürfen, wenn die rohe Kraft unter den Völkern ebenso verhasst geworden ist, wie die rohe Kraft es bereits unter den menschlichen Individuen der zivilisierten Gesellschaft ist." Nur eineinhalb Jahre später begann der Erste Weltkrieg.

Den Zenith seiner Popularität erreichte Hauptmann in der Weimarer Republik, als er für das Präsidentenamt vorgeschlagen wurde und sein Konkurrent Thomas Mann ihn als "König der Republik" bezeichnete. Dass Mann, der 17 Jahre nach Hauptmann den Literaturnobelpreis erhielt, heute weitaus berühmter ist, liegt sicher auch darin begründet, dass er im Gegensatz zu Hauptmann dem nationalsozialistischen Deutschland bewusst den Rücken kehrte. Zum "Gewissen der Nation" wurde der Hauptvertreter des Naturalismus nicht, aber seine Hauptwerke "Vor Sonnenaufgang", "Die Weber", "Die Ratten" und "Der Biberpelz" werden bis heute auf deutschen Bühnen aufgeführt. So hat er es sich selbst wohl auch vorgestellt, als er 1892 das Aufführungsverbot der "Weber" mit dem Satz kommentierte: "Die Hauptsache ist, die "Weber" haben ein hundertjähriges Dasein garantiert erhalten."

Dorlis Blume
September 2014

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