Jump directly to the page contents

Am Flügel: Peter Gotthardt

In zeitgenössischen Besprechungen durchgängig als „Tendenzfilm“ wahrgenommen, interessierte sich dieser Spielfilm des später in Hollywood arbeitenden Regisseurs Wilhelm Dieterle für einen Aspekt des deutschen Strafvollzugs, der seit 1926 Gegenstand öffentlicher Debatten war: „die Sexualnot der Strafgefangenen“ (so auch der Untertitel des Films). Erörtert wurde eine fehlende Regelung der Sexualität im Strafvollzug, was darauf hinauslief, sie möglichst zu verhindern. Dieterles Film verschreibt sich der Idee der modernen Sexualwissenschaften vom „Menschenrecht auf Sexualität“. Er drängt – soweit das Tendenzhafte – auf Reformierung des Strafvollzugs.

Das Genre des Aufklärungsfilms wird vor allem im ersten Drittel des Films bedient, das von der moralischen Anständigkeit eines Ehepaares erzählt, das durch die Inhaftierung des Mannes für verhängnisvolle drei Jahre getrennt wird. Virtuos inszenierte Dieterle dagegen die „Sexualnot“ selbst. Erotische Erscheinungen werden über die trostlosen Realbilder geblendet, ein Frauenkörper gar aus Brot geformt. Schließlich entspinnt sich eine zarte Romanze des Mannes mit einem Mitgefangenen, die durch Schwenks über den Körper des „Verführers“ und durch eine sensible Blickregie in eine sinnliche und keineswegs diffamierende Perspektive gerückt wird. Da Homosexualität aber als „abweichendes“ Verhalten markiert wird, ist die Frage naheliegend, „ob der Film im Spannungsfeld zwischen dem implizit vorausgesetzten Geschlechtstrieb und der repressiven Moral nicht ein Eigentor geschossen hat.“ (Tim Gallwitz, Geschlecht in Fesseln, 2000). (jak)