They Came in Khaki – Nationalsozialisten auf englischem Boden im britischen Film

Mathias Barkhaus | 6. Januar 2023

Eine gewonnene Luftschlacht um England sollte 1940 die entscheidenden Weichen für eine Invasion Großbritanniens durch die Nationalsozialisten stellen. Auch wenn wir heute wissen, dass es anders gekommen ist, zeigt uns die Filmgeschichte gleich mehrfach, dass es auch anders hätte kommen können. Besonders hervorzuheben sind dabei zwei Filmbeispiele, die Mathias Barkhausen, wissenschaftlicher Volontär im Fachbereich Kinemathek & Zeughauskino, in diesem Beitrag näher erläutert.

Alberto Cavalcantis „Went the Day Well?“ schildert eine mögliche Invasion der Nationalsozialisten 1942, in „It Happened Here“ von 1964 ist diese schon gelungen. Dabei entwerfen sie ganz unterschiedliche Vorstellungen von den Verhaltensmustern der Inselbewohner*innen.


Went the Day Well (GB 1942, Alberto Cavalcanti)

Operation Sea Lion: Unter diesem Namen versuchten die Nationalsozialisten die ersten erfolgreichen Eroberer Großbritanniens seit 1066 zu werden. Der Angst in der britischen Bevölkerung begegnet man „von oben“ mit Propagandafilmen, die an den Gemeinschaftssinn und die wachsamen Augen der Einwohner*innen appellieren. Mit den Filmemachern Humphrey Jennings und Harry Watt gesprochen: „London [and Britain] Can Take It!”

1942 mag The Blitz, die Luftangriffe auf London, schon vorbei sein, doch laut den Filmhistorikern Anthony Aldgate und Jeffrey Richards sind die Invasionsängste im Zuge des Falls von Singapur und der Durchfahrt dreier deutscher Kriegsschiffe im Ärmelkanal alles andere als verschwunden. So dreht Alberto Cavalcanti, bis dato eher als Dokumentarist in Erscheinung getreten, für die Ealing Studios, die ihrerseits eher als Garant für Komödien bekannt sind, „Went the Day Well?“.

Die Prämisse dieses Films, die ein Zukunftsszenario antizipiert, das nie eintreten wird, ist schnell erzählt: Im fiktiven Ort Bramley End landen sechzig deutsche Fallschirmjäger, geben sich zunächst unerkannt als englische Soldaten aus und halten die örtliche Bevölkerung in der Dorfkirche gefangen, während sie durch Störung des Funksystems eine Invasion vorbereiten wollen. Die britische Bevölkerung ist in diesem Szenario vor allem widerstandsfähig, selbst eine ältere Dame wird zur rüstigen Widerstandskämpferin, die sich nicht davor scheut, dem Bratwurst essenden Deutschen Pfeffer ins Gesicht zu werfen, um ihn anschließend mit einem Holzbeil zu töten. Dass ihr dadurch gewonnener Handlungsspielraum durch tratschende Telefonistinnen, die ihren Anruf nicht durchstellen, direkt wieder getilgt wird, führt dem zeitgenössischen Publikum vor allem eins vor Augen: „Careless talk costs lives“, um es mit einem Propagandaslogan der Britischen Regierung auszudrücken.

Das Leben auf dem Land gilt es nämlich zu schützen. Durch das geschulte Auge des Dokumentarfilmers Cavalcanti stellt der Film das Landleben in seiner Breite vor, ohne ins Sentimentale zu fallen: er beschreibt kleine soziale Interaktionen im Dorf, den Gang in die Kirche und den in den Pub, und veranschaulicht so all das, was auf dem Spiel steht.

Die Britinnen und Briten sind in Cavalcantis Film gutmütige und einfache Leute, denen es kaum in den Sinn käme, bei den Gästen handele es sich nicht um Engländer, sondern um deutsche Soldaten oder gar mögliche Verräter aus den eigenen Reihen – bis die einige Frauen aus dem Dorf, in einer Kombination aus scharfem Verstand und Zufall der falschen Identität, den Gästen auf die Schliche kommen.

So ist „Went the Day Well?“ auch eine Warnung, die Augen vor Mitgliedern der fünften Kolonne (als deren Repräsentant die Figur von Leslie Banks dient) nicht zu verschließen. Denn, dass die Sympathie, die Teile der britischen Bevölkerung gegenüber den Nationalsozialisten hegten, schnell auch in Kollaboration hätte kippen können, legt der knapp über zwanzig Jahre später erschienene Film „It Happened Here“ nahe.


„It Happened Here” (GB 1964, Kevin Brownlow, Andrew Mollo)

„Keep calm and carry on“: Mit diesem Slogan wendet sich die britische Regierung ab 1939 an das Durchhaltevermögen der Landsleute. Es scheint aber auch das zu sein, was viele der Figuren in „It Happened Here“ opportunistisch denken, als sie sich nach der nationalsozialistischen Eroberung des Vereinigten Königreichs in einem faschistischen England wiederfinden.

Eine von ihnen ist Pauline, eine irische Krankenschwester, die sich in London mehr aus Überlebensinstinkt denn aus ideologischer Überzeugung der Immediate Action Organisation, einem paramilitärischen Gesundheitskorps, anschließt und unwissentlich bei einem Euthanasieprogramm mitwirkt, dessen scheinbares Ziel sie nach der Begegnung mit einem alten Schulfreund und jetzigem Widerstandskämpfer zu hinterfragen beginnt. Langsam wächst sie in ihre historische und individuelle Verantwortung hinein.

Andrew Mollos und Kevin Brownlows Regiedebüt, dessen achtjährige Produktionsgeschichte eines eigenen Blogeintrags würdig wäre, erzielte bei seiner Veröffentlichung mehr als nur gerümpfte Nasen: So bietet die Prämisse des Films ein Gegenbild, das das bisherige Geschichtsbild der Britinnen und Briten herausfordert. Doch als größte Irritation galten sieben Minuten, die nach der Veröffentlichung entfernt werden mussten. In diesen, gänzlich improvisierten und spontan aufgenommenen Szenen, bekommen die Mitglieder der „Union of British Fascists“ die Bühne, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten. Brownlow verteidigte die Entscheidung, die Szenen mitaufzunehmen, in seinem Buch „How It Happened Here“ wie folgt:

No film since the end of the war had given National Socialists carte blanche to express their opinions with the result that few people had a clear idea of what they stood for, or of the insidious threat they represented.

„It Happened Here“ erforscht Faschismus als Phänomen der Massen und weniger als Resultat begnadeter bösartiger Rhetoriker*innen und Ideolog*innen. Dabei kommt der Film selbst nicht ohne faschistische Ästhetik aus, wie David Robinson bemerkt:

 „In a way, the filmmakers themselves are seduced. They communicate their own delight in the uniforms and military show, in the spectacle of an admirably staged Nazi torchlight funeral. […] This admirably achieved, admirably intentioned film could be hot stuff for an audience with the wrong preconditioning”.

Genau hier setzt „It Happened Here“ an, denn genauso wie „Went the Day Well?“, wirft der Film ein Licht auf die Sympathien der einiger Britinnen und Briten gegenüber der Nationalsozialisten. Während letzterer seine Beobachtungen im Präsens formuliert, sucht ersterer die Antworten auf die Fragen von heute im gestern.

Das Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums zeigt die beiden Filme im Rahmen der Reihe „Roads not Taken. Alternative historische Erzählungen im Film“. Die Filmreihe stellt Filme vor, die alternative Geschichtsverläufe im Rahmen des Spielfilms erprobt, und Fragen der gleichnamigen Ausstellung im Pei-Bau aufnimmt.


[1] Der Titel „They Came in Khaki“ war lange Zeit Arbeitstitel des Films von Cavalcanti, doch letzten Endes entschieden sich die Produzenten für ein Epitaph aus John Maxwell Edmonds Feder: Went the day well? // We died and never knew. // But, well or ill // Freedom, we died for you.


Filmographie:

Went the Day Well? (GB 1942, Alberto Cavalcanti)

It Happened Here (GB 1964, Kevin Brownlow, Andrew Mollo)

Bibliographie:

Aldgate, Anthony / Richards, Jeffrey (1986): Britain Can Take It. The British Cinema in the Second World War. Oxford: Blackwell.

Brownlow, Kevin (1968): How It Happened Here. London: Secker & Warburg.

Ford, Lynsey (2018):  How We made It Happened Here, the film that imagined England under the Nazis. British Film Institute. Online aufrufbar unter: https://www.bfi.org.uk/interviews/it-happened-here-kevin-brownlow.

Fuller, Graham (2011): Why We Fight. Ealing Studios’ Wartime what-if. In: Film Comment 47, 3, S.24-25.

Robinson, David (1968): Introduction. In: Brownlow, Kevin (Hrsg.): How It Happened Here. London: Secker & Warburg.

Tibbetts, John C. (2000): Kevin Brownlow’s Historical Films: It Happened Here (1965) and Winstanley (1975). In: Historical Journal of Film, Radio and Television 20, 2, S.227-251.


Foto: privat

 

 

Mathias Barkhausen

Mathias Barkhausen ist seit 2021 wissenschaftlicher Volontär im Fachbereich Kinemathek & Zeughauskino des Deutschen Historischen Museums. Während und nach seinem Studium der Medienwissenschaft & Germanistik in Bonn und Prag arbeitete er für verschiedene Filmfestivals in Deutschland, unter anderem für die Berlinale, das Filmfest München und das Filmschoolfest Munich, wo er von der Programmkoordination über die Moderation bis hin zum Auswahlgremium beteiligt war.