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Einführung: Lúcia Nagib

Die Niklashauser Fart von Rainer Werner Fassbinder veranschaulicht so gut wie wohl kein anderer Film, wie intensiv sich um 1970 die Regisseure des Neuen Deutschen Films auch mit dem Cinema Novo, dem neuen brasilianischen Film, befassten. Am Beispiel der historisch verbürgten Geschichte des fränkischen Hirten Hans Böhm, der im Spätmittelalter 30.000 Anhänger um sich schart und sozialrevolutionäre Forderungen stellt, entwirft Fassbinder eine Topographie der Revolution und lotet die Möglichkeiten politischen Filmemachens aus. Er lässt in Agitprop-Manier über die kapitalistische Wirtschaftsordnung diskutieren, spannt das Publikum mit scheinbar endlosen Einstellungen auf die Folter und streut groteske Szenen ein. Am Ende wird Hans Böhm auf einem Autofriedhof gekreuzigt, doch die Revolution – angeführt von Günter Kaufmann als schwarzem Rächer – lässt sich nicht mehr aufhalten. Mit Glauber Rochas Antônio das Mortes (1969) hat Fassbinders Passionsspiel nicht allein auffallende inhaltliche und ästhetische Gemeinsamkeiten. Bei Fassbinder taucht auch eine Gestalt namens Antonio auf, die Rochas Helden zwar äußerlich ähnelt, aber beinahe provozierend unbeteiligt wirkt. Wilhelm Roth schreibt: „Durch die Konsequenz, mit der Fassbinder das Medium Film in seine Reflexion über die politische Funktion von Kunst einbezieht, wird Die Niklashauser Fart zu einem Sonderfall nicht nur in seinem Werk, sondern auch im neuen deutschen Film. Ein Schlüsselerlebnis der Generation Fassbinders, nämlich das Scheitern der politischen Protestbewegung, (...) ist nirgendwo im deutschen Film so radikal thematisiert worden“ (Rainer Werner Fassbinder, hg. v. Peter Jansen, Wolfram Schütte, 1985). (ps)