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Ai Xiaomings bislang letztes, fast siebenstündiges Werk setzt sich in fünf Teilen mit der sogenannten Kampagne gegen "Rechtsabweichler" unter Mao Zedong auseinander, der bis 1958 etwa 500.000 Chinesen zum Opfer fielen. Jiabiangou Elegy wählt dafür einen Zugang, der überwiegend um videographierte Zeugenschaft organisiert ist, und konstilliert Erinnerungsinterviews mit Arbeitslagerüberlebenden und ihren Familienangehörigen entlang bestimmter Themenblöcke so, dass der Eindruck einer geteilten Geschichtswahrnehmung entsteht. Entgegen den Interpellationsabsichten hegemonialer Historienerzählungen in China läuft der Film jedoch nicht auf die Vorstellung eines einheitlichen ‚Volksgedächtnisses‘ zu, sondern vermittelt geschichtliche Kollektiverfahrung als Produkt radikalen Ausschlusses, den die Zeugnisgebenden durch brutale Lagerhaft und staatliche Drangsalierung erlebt haben. Ai verlängert dabei den behandelten Zeitraum in die Jetzt-Zeit, setzt gegenwärtige Bemühungen der Überlebenden auf Anerkennung sowie behördliche Verschleierungsmaßnahmen direkt ins Bild und inszeniert sich selbst als partizipative Kraft an den Anstrengungen ihrer Akteure. Deutlich geht es dem mutigen Werk nicht um bloßes Nacherzählen von Vergangenem, sondern um die aktualisierende Intervention in einen nur vorgeblich konsolidierten Geschichtsraum. (chl)