
Genüsslich zieht der Vergewaltiger an seiner Zigarette und lacht sein Opfer aus. Die Miene der ihm gegenüberstehenden jungen Frau verändert sich. Den Mann ergreift die Angst. Zu spät. Sie drückt ab, und tödlich getroffen sackt er zusammen. Verwunderung über ihre Tat spricht aus ihrem Blick, dann Entsetzen. Blond, keusch, engelgleich steht sie da, mit einem schweren Revolver in der Hand. Das ist 1929 der Höhepunkt von Mädchen am Kreuz. Der Film des Regieehepaares Louise und Jakob Fleck beginnt als heitere, sonnendurchflutete Berlin-Geschichte mit bewegter Kamera und geht weiter als die packend und effektvoll inszenierte Passion einer missbrauchten Frau. Anders als den Racheengeln des amerikanischen Rape-Revenge-Films der 1970er Jahre fehlt ihr die innere Wut und Kaltblütigkeit, und doch ist sie eine Schicksalsverwandte.
Nachdem Louise Fleck (1873-1950) und ihr Ehemann 1926 von Wien aus nach Berlin gekommen waren, führten sie hier bis 1931 Regie bei insgesamt 25 Filmen, darunter Literaturadaptionen, Wien-, Operetten- und Problemfilme. Bei den spitzfindigen Berliner Kritikern waren sie selten beliebt, landeten aber zwischen 1927 und 1930 regelmäßig auf den Erfolgslisten der Branchenpresse. Allein 17 ihrer deutschen Filme drehten sie für die Produzentin Liddy Hegewald, die ein ausgeprägtes Gespür für populäre Stoffe besaß. Wie Louise Fleck, die in ihrem Heimatland Österreich mit ihrem verstorbenen ersten Ehemann Anton Kolm bis in die frühen 1920er Jahre als unabhängige Produzentin Filme herstellte, war auch Hegewald eine bedeutende Pionierin der Film- und Kinobranche. Das Berliner Tageblatt bezeichnete sie 1929 respektvoll als „Europas erste und einzige Produktionsleiterin“.
Im Vorprogramm ist Uli Jürgens' Hommage an Louise Fleck zu sehen. Jürgens ist auch Autorin von Louise, Licht und Schatten. Die Filmpionierin Louise Kolm-Fleck (Wien 2019). (ps)
David Schwarz ist Pianist und Komponist für Film und Theater. Seit der Spielzeit 2024/25 ist er Musikalischer Leiter am Rheinischen Landestheater in Neuss.
Philipp Stiasny ist Filmhistoriker, Dozent und Redakteur der Zeitschrift Filmblatt. Er ist Kurator der Retrospektive Filmpionierinnen!
Hommage an Louise Fleck
- AT 2019
- Digital HD
-
R: Uli Jürgens, 4‘
Mädchen am Kreuz
- D 1929
- DCP
- Stummfilm (deutsche ZT)
-
R: Louise Kolm-Fleck, Jakob Fleck, P: Liddy Hegewald, B: Marie-Louise Droop, K: Nicolas Farkas, D: Evelyn Holt, Ernö Verebes, Wolfgang Zilzer, Fritz Odemar, Valerie Boothby, Gertrud de Lalsky, 77‘
Am Flügel: Richard Siedhoff · Einführung: Nikolaus Wostry
Genüsslich zieht der Vergewaltiger an seiner Zigarette und lacht sein Opfer aus. Ihm gegenüber eine junge Frau, gerade noch niedergeschlagen, jetzt aufgebracht und empört. Da ergreift den Mann die Angst, doch zu spät. Sie drückt ab, tödlich getroffen sackt er zusammen. Verwunderung über ihre eigene Tat spricht aus ihrem Blick, dann Entsetzen. Blond, keusch, engelgleich steht sie da, mit einem schweren Revolver in der Hand. Das ist der Höhepunkt von Mädchen am Kreuz, dessen Heldin von der zarten Evelyn Holt gespielt wird.
Der Film beginnt als heiterer, von Sonne durchfluteter Berlin-Film mit bewegter Kamera und entwickelt sich zu einer packend und effektvoll inszenierten Leidensgeschichte einer missbrauchten Frau. Die innere Wut und Kaltblütigkeit mag dieser Frau fehlen – und dennoch ist sie eine Schicksalsverwandte der Racheengel, die der amerikanische Rape-Revenge-Film in den 1970er Jahre hervorgebracht hat. (ps)