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Seraphine oder Die wundersame Geschichte der Tante Flora

Seraphine oder Die wundersame Geschichte der Tante Flora BRD 1965, R: Peter Lilienthal, B: David Perry, K: Friedhelm Heyde, D: Heinz Meier, Käte Jaenicke, Else Ehser, Annemarie Schradiek, Adolf Rebel, 60’ · File Unbeschriebenes Blatt BRD 1966, R: Peter Lilienthal, B: Rhys Adrian, Peter Lilienthal, K: Gerard Vandenberg, D: Axel Bauer, Heinz Meier, 42’ · File MI 22.11. um 20 Uhr + FR 24.11. um 18.30 Uhr · Einführung: Jan Gympel Per Eisenbahn fährt ein Mann mit seiner Frau und einer großen Kiste an die See. Darin befindet sich ein „Ungeheuer“: eine missgestaltete Robbe, die sich durch enorme Gefräßigkeit auszeichnet. Der Mann hat sie einst im Zoo entwendet und so davor bewahrt, getötet zu werden. Doch nach sieben Jahren hat sich seine Frau endlich mit ihrer Forderung durchgesetzt, das Seraphine genannte Tier ins Meer zu befördern. Auch der Besitzer der ärmlichen Pension, in der das Paar absteigt, würde gern einen gefräßigen und tyrannischen Gast loswerden, der ihn von seinem Ehepartner entfremdet hat: die alte Tante Flora, der – ebenfalls aus Mitleid – von seiner Frau jeder Wunsch erfüllt wird. In der Welt las man vorab: „Lilienthal hat aus diesem englischen, mehr auf hübsche Gruselunterhaltung bedachten Vorwurf ein Stück melancholischer Poesie gezaubert. Der Zuschauer fühlt sich von Anfang an von einem sanften Sog erfaßt. (...) Eine genau festgelegte Atmosphäre durchtränkt den letzten Zipfel der Erzählung, eine Mischung aus Trauer, Sehnsucht, Bedrückung, melancholischer Freude und böser Schwärze.“ (L. S., 17.3.1965) Nachdem der Film den Fernsehpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste erhalten hatte, schrieb Heinz Ungureit: „Die ‚Seraphine’ brachte zweifellos seit langem die überzeugendste ästhetische Bereicherung des Fernsehspiels.“ (Die Zeit, 1.10.1965) Ein Mann bewirbt sich um eine Stelle, weigert sich jedoch hartnäckig, den dazu üblichen Fragebogen auszufüllen. Damit treibt er den Direktor der Firma an den Rand des Wahnsinns: Der große Boss bemüht sich um so intensiver um den Bewerber, wie dieser sein Desinteresse an der Stelle bekundet. Das Machtverhältnis kehrt sich um. Mit dem renommierten Kameramann Gerard Vandenberg, mit dem er in seiner Fernsehzeit häufig zusammenarbeitete, schmückte Lilienthal die simple Fabel mit nahezu allen Mitteln aus, die damals für ihn typisch waren (und deren Verwendung ihm zuweilen den Vorwurf des Manierismus einbrachte): Seltsame Figuren und Ereignisse am Rande, die immer wieder, auf teils eigenwillige Weise, ins Bild gerückt werden, und andere Elemente, die oft eine surreal anmutende Atmosphäre schaffen, ungewöhnliche Kameraperspektiven, einmontierte Photos. So entstand mit Unbeschriebenes Blatt eine Art Kompendium des Lilienthal-Stils, das sich in seiner Vollständigkeit und Selbstzweckhaftigkeit an der Grenze zur Parodie bewegt. Im dritten Programm von NDR/RB/SFB uraufgeführt, wurde der Film erst im Sommer 1969 im ersten Programm gezeigt, Zu später Stunde und gekoppelt mit einer weiteren älteren Arbeit des Regisseurs. „Entfesselte Television“ konstatierte Karl Heinz Kramberg in der Süddeutschen Zeitung vom 18.6.1969: „Lilienthal benutzte die handliche Miniatur der kafkaesken Parabel (...) zu einem genüßlichen Quodlibet aus optischen Metaphern und Symbolen. Jede Einstellung zeigte eine in sich geschlossene Komposition, die das Filmthema variierte, der Bildvorgang war nicht melodiös, sondern rhythmisch und kontemplativ. So wurde der Betrachter zum Zeugen eines Prozesses, der seine Schaulust vom Gegenstand gleichsam befreite und ihn endlich ganz dem abstrakten Rausch des Hin-Sehens überließ. Ein beinahe exzessives Vergnügen.“ In beiden Filmen verkörperte eine Hauptrolle Heinz Meier. Später bekannt geworden als Partner von Loriot (unter anderem als Familienvater Hoppenstedt und Lottogewinner Erwin Lindemann), hatte er 1953 das Wallgraben-Theater in Freiburg i. Br. mitbegründet, wo er vor allem in modernen Stücken auftrat. Von 1957 bis 2003 leitete er die Bühne auch. (gym)