Wer um die 
                  Jahrhundertwende heiratete, ging davon aus, daß diese 
                  Ehe ein Leben lang hielt - zumindest sollte es so sein. Abweichungen 
                  wurden sanktioniert, es sei denn, sie vollzogen sich in gesellschaftlichen 
                  Freiräumen wie der Boheme. Eine Ehescheidung war um die 
                  Jahrhundertwende ein Skandal und insbesondere für die Frau 
                  zumeist eine soziale Katastrophe. Nach dem Bürgerlichen 
                  Gesetzbuch von 1900 galt im Scheidungsfall das Schuldprinzip; 
                  eine gegenseitige Einwilligung der Eheleute war unzulässig.
                1890 wurden 
                  7,4 von 10.000 Ehen geschieden - eine verschwindend geringe 
                  Zahl (zum Vergleich: 1983 waren es in der Bundesrepublik zehnmal 
                  so viel, nämlich 78). Die soziale Ächtung traf auch 
                  ledige Mütter, und zwar im städtischen Bürgertum 
                  weitaus stärker als etwa auf dem Land. Hier wurde traditionell 
                  die uneheliche Mutterschaft anders bewertet als in der bürgerlichen 
                  Kultur, denn eine Ehe wurde auf dem Land oft "nachgeholt".
                Um 1900 kamen in Deutschland rund 
                  neun uneheliche Kinder auf hundert Geburten. In Sachsen war 
                  es circa 13 Prozent, in Bayern ebenfalls und in Berlin etwa 
                  15 Prozent.