Direkt zum Seiteninhalt springen

Der moderne bürokratische Staatsapparat hat, so notierte der Soziologe Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, „durch seine innere durchrationalisierte Struktur […] an die Stelle der ‚Revolutionen‘ die ‚Staatsstreiche‘ gesetzt“. Webers Befund hat an Aktualität nichts verloren. Gegenwärtig erleben wir sogar eine weitere folgenreiche Verschiebung. An die Stelle des klassischen Putsches tritt in Europa wie in den Vereinigten Staaten die sukzessive Transformation der Verfassung in Form ihrer Aushöhlung von innen, die von gewählten Regierungen betriebene dynamische Erosion des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung insgesamt. „Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne“, schreiben die beiden Politologen Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ihrem Buch How Democracies Die (2018). 

Vom Putsch vor laufender Kamera bis hin zur Indienstnahme der sozialen Medien für Angriffe auf die Gewaltenteilung: Autokratische Machtübernahmen gleichen nicht selten einem politischen Schauspiel. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie so oft verfilmt wurden. Die Reihe Staatsstreiche präsentiert Dokumentar-, Spiel- und Essayfilme der letzten 20 Jahre, die politische Umstürze aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln zeigen. Was sie eint, ist der Versuch, die politischen Geschehnisse als komplexe Verflechtungsgeschichten zu erzählen und dabei nach den kulturellen Machtverschiebungen zu fragen, die mit ihnen einhergehen. Was haben Staatsstreiche mit dem Erstarken von Autoritarismus und traditionellen Männlichkeitsbildern zu tun? Inwieweit sind sie mit gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen sowie mit Einzelschicksalen jenseits der Politik verwoben? Welche Spuren hinterlassen Putsche und wie werden sie erinnert? Welche neuen Perspektiven kann ein postkolonialer Blick auf Staatsstreiche eröffnen? Und wie lassen sich Staatsstreiche überhaupt filmisch erzählen?

Die Filmreihe Staatsstreiche ist eine Kooperation mit den Mosse Lectures an der Humboldt-Universität zu Berlin, die das Thema im Wintersemester 2025/26 historisch-systematisch in den Blick nehmen. Eingeladen sind prominente Wissenschaftler*innen und Autor*innen aus dem In- und Ausland. 1997 von dem Historiker George L. Mosse gegründet, sind die Mosse Lectures ein interdisziplinär und international angelegtes Veranstaltungsprojekt, das mit seinem Wahlspruch zur „Öffentlichkeit von Kultur und Wissenschaft“ an die Geschichte und das Erbe der deutsch-jüdischen Familie Mosse erinnert und allen Interessierten offensteht.