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Von der Schöpfungsgeschichte bis zum Jüngsten Gericht ist alles mit drauf: Das Große Zittauer Fastentuch ist eine Art Bibelcomic des 15. Jahrhunderts. Ursprünglich zum Zweck erstellt, die Reliquien und Kreuze während der Fastenzeit den Blicken der Gläubigen zu entziehen – mithin ein Medium, das Bilder gleichzeitig verhüllt und in die Welt setzt – stellt das Tuch heute eines der eindrücklichsten Werke religiöser Kunst dar, die in Deutschland erhalten geblieben sind. Der Film, den Bernhard Sallmann diesem Objekt widmet, respektiert einerseits dessen sakrale Aura und vermittelt sie andererseits mit der Gegenwart.

Ganz eng bleibt die Kamera am Tuch, wenn sie es, Bildreihe für Bildreihe, vermisst. Nicht nur die einzelnen Motive kommen auf diese Weise in den Blick, sondern auch die Texturen des Trägerstoffes. Das Kino erweist sich dabei als eine allen medialen Vorläufern überlegene, ultimative Bildermaschine: So nah wie mithilfe von Sallmanns Film wird dem Tuch in seiner langen Geschichte kaum einmal ein menschliches Auge gekommen sein. Ergänzt wird der von einer Voice-Over-Nacherzählung und Jürgen Kurz’ ambitioniertem Score dynamisierte Bilderbogen durch Interviewpassagen, in denen Expert*innen über die historische Funktion des Tuchs sowie notwendige Restaurierungsmaßnahmen referieren, sich jedoch auch Gedanken machen über die Aktualität des Christentums in Zeiten einer säkularisierten Gesellschaft. (lf)