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Während die documenta-Jahrgänge 2 bis 4 ohne nennenswerte Filmprogramme auskommen mussten, präsentierte die 5. Ausstellungsausgabe neben einer Sektion zu experimentellen Video-Arbeiten im Erdgeschoss des Fridericianum gleich acht unterschiedliche Retrospektiven, die 1972 in nur fünf vollgepackten Tagen im Kasseler Kino Royal gespielt wurden.

Mindestens ebenso bemerkenswert wie eine Werkschau des Sexploitation-Pioniers Russ Meyer und die Reihe Bildwelt der Trivialpornographie, deren genaues Line-Up sich leider nicht mehr rekonstruieren lässt, ist dabei eine Auswahl zum Sozialistischen Realismus mit Werken aus der Sowjetunion und China, die auf staatsdoktrinäre Unterweisung eines Massenpublikums zielen.

Während entsprechende Arbeiten in den Hauptsektionen der Ausstellung bis weit in die 1970er Jahre gegenüber abstrakter Kunst und einer dezidierten Westorientierung bewusst ausgeklammert wurden, galt diese kuratorische Praxis nicht bei der Programmierung der Filmreihen: Bereits im Rahmen der ersten Ausgabe 1955 liefen unter anderem diverse Vertreter des russischen Revolutions- und Avantgarde-Films.

Nochmals eindeutiger in seinen Vermittlungsansprüchen war das chinesische Kino der Mao-Ära, das auf der 72er-documenta mit mehreren Historien- und Opernverfilmungen vertreten war, die zeittypisch auf klare Freund-Feind-Dichotomien setzen und die sukzessive Machtübernahme der KP als Fortschrittsverlaufserzählungen beschreiben. In diesem Sinne verfolgt Xie Jins unterhaltsames und aufwändig ausgestattetes Zweitwerk Hóngsè Niángzi Jūn den Siegeszug der Kommunisten über die Entwicklung einer vormals rigider Unterdrückung ausgesetzten Landarbeiterin zur revolutionären Kämpferin. Der Stoff wurde zwei Jahre später als Oper adaptiert, die zu den staatsoffiziell proklamierten Kanonwerken der Kulturrevolution zählt; 2006 folgte eine 21-teilige TV-Serien-Variation. Die tatsächliche Geschichte des Frauenbataillons war weit weniger erbaulich als im Film dargestellt: Nach 500 Einsatztagen wurde es gewaltsam von Kuomintang-Truppen zerschlagen und einige Kämpferinnen gerieten nach 1949 ins Fadenkreuz der maoistischen Kampagnenpolitik. (chl)