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Einführung: Tobias Hering und labournet.tv

Immer wieder mal tauchen in den Filmen der Medvedkine Gruppen und anderer französischer Kollektive migrantische Arbeiter auf. Zu zentralen Protagonisten werden sie jedoch selten, obwohl sie gerade in den Fabriken einen großen Prozentsatz der Belegschaft ausmachen und gegenüber ihren französischen Kollegen oft doppelt prekarisiert sind. Nationalité: Immigré bricht mit dieser Perspektive, mit der die Filmarbeit letztlich die gesellschaftliche Ausgrenzung stillschweigend reproduzierte. Mit Witz und Sarkasmus erzählt der Film vom Alltag einer Gruppe Westafrikaner, die es satt haben: den täglichen Rassismus, die erzwungene Klandestinität und ihre aus der Diskriminierung resultierende zusätzliche Ausbeutung. Zentrales Ereignis in dem teils experimentell inszenierten Film ist ein Mieterstreik in einem der berüchtigten „Foyers", Gruppenunterkünften, in denen migrantische Arbeiter meist schlecht und teuer wohnen und einer ständigen Kontrolle unterliegen. Nationalité: Immigré war ein Kollektivprojekt, in dem die Beteiligten sich größtenteils selber spielen. Ein wichtiges Zeitdokument ist er nicht zuletzt deshalb, weil er die Missverständnisse der französischen Linken aus einer migrantischen Perspektive ins Bild setzt und auch die Differenzen und Konflikte innerhalb der westafrikanischen Diaspora thematisiert. Der Mauretanier Sidney Sokhona war Ende der 1960er Jahre nach Frankreich gekommen und hatte im Umfeld seines Landsmanns Med Hondo (Soleil O, Les 'bicots-Nègres' vos voisins) erste Filmerfahrungen gesammelt. Die Dreharbeiten zu Nationalité: Immigré begannen 1972 und dauerten trotz Unterstützung durch Med Hondo und Jean Rouch fast drei Jahre, weil Sokhona den Filmdreh durch parallele Lohnarbeit finanzieren musste. Der weitgehend unbekannt gebliebene Film ist womöglich erstmals hierzulande zu sehen und dabei frappierend aktuell. (th, labournet.tv)