Direkt zum Seiteninhalt springen

In behutsam komponierten Schwarzweiß-Bildern erzählt das Filmdebüt des Theaterregisseurs Roland Gall auf der Grundlage von Ödön von Horváths Roman Jugend ohne Gott (1937) die Geschichte einer schleichenden Entfremdung: Im Verlauf eines Sommerzeltlagers wird der Lehrer einer reinen Jungensklasse zu der Einsicht in das Maß, das die soziale Verrohung seiner Schüler kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs erreicht hat, gezwungen. Nahezu ungerührt nehmen sie den Mord an einem Mitschüler hin, dessen Schuld vor Gericht einem Arbeitermädchen zugeschoben wird. Zug um Zug schreibt der Film seiner von Gerd Baltus gespielten Hauptfigur die verzweifelte Hilflosigkeit und das staunende Entsetzen ins Gesicht. Am Ende bleibt ihr nichts anderes übrig, als vor dem Grauen des gesellschaftlichen Verfalls die Flucht zu ergreifen und ihr Heil als Lehrer an einer Missionarsschule in Afrika zu suchen.

Entstanden nahezu zeitgleich zur Fernsehadaption desselben Romans, die unter dem Titel Nur der Freiheit gehört unser Leben (ZDF 1969, Regie: Eberhard Itzenplitz) den Stoff zu einem Krimi verarbeitet, hält sich Galls Kinoverfilmung in ihrer kompromisslosen Konzentration auf die psychologischen Dynamiken zwischen den Figuren enger an die zeitkritischen Intentionen der Vorlage. Viel eher als an die zahlreichen Theaterinszenierungen und Fernsehadaptionen der Werke Horváths, die seit Ende der 1950er Jahre eine Renaissance dieses Autors eingeläutet haben, schließt Wie ich ein Neger wurde damit – auch ästhetisch – an Volker Schlöndorffs Der junge Törless (1966) an. (mwe)

Michael Wedel ist Professor für Mediengeschichte an der Filmuniversität Babelsberg KONRAD WOLF, Mitglied von CineGraph Babelsberg und Redakteur der Zeitschrift Filmblatt.

Der Filmtitel ist aus dem historischen Kontext zu verstehen und nicht diskriminierend gemeint.

Wie ich ein Neger wurde

Weitere Termine