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Hans Jürgen Syberberg, von Susan Sontag einst als größter Wagnerianer seit Thomas Mann bezeichnet, erhält 1975 eine einmalige Gelegenheit: Über den Kontakt zu Wagners Urenkel Gottfried gewährt ihm Winifred Wagner, die Witwe von Wagners Sohn Siegfried, eine fünftägige Audienz. Von 1930 bis 1944 war die enge Freundin Adolf Hitlers die künstlerische Leiterin der Festspiele; der „Führer“, den sie liebevoll „Wolf“ nannte, ging in Bayreuth ein und aus. Syberberg präsentiert das Material streng chronologisch und nahezu ohne gestalterische Eingriffe. Nach einer kurzen Einleitung erhält Winifred Wagner das Wort und erzählt völlig unbefangen aus ihrer Lebensgeschichte, von der Übernahme der Festspielleitung. Sie legt ihre persönliche Sichtweise der Geschichte Bayreuths im Nationalsozialismus dar. Mit Hitler habe sie beispielsweise nie über Politik gesprochen und wenn er heute durch die Tür käme, würde sie sich genauso freuen wie damals.

Für viele Zeitgenossen war dies eine Zumutung: Syberberg wurde Distanzlosigkeit vorgeworfen und die Familie Wagner versuchte, die Veröffentlichung des Films zu verhindern. Aber gerade durch die zunächst so spröde wirkende Zurückhaltung gewinnt der Film zunehmend eine eigentümliche Spannung und Dynamik; durch Winifred Wagners Äußerungen wird das Konstruktionsprinzip des Mythos‘ Bayreuth plötzlich (an)greifbar und entlarvt. (mbh)