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Hands on Fassbinder | 25 Jahre Deutsches Historisches Museum

 


  HANDS ON FASSBINDER

 

HANDS ON FASSBINDER

Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) ist einer der bedeutendsten europäischen Regisseure deutscher Herkunft. Zusammen mit dem Collegium Hungaricum Berlin, dem Zeughauskino, der Rainer Werner Fassbinder Foundation und der Bundeszentrale für politische Bildung möchte die Filmzeitschrift Revolver Fassbinders Werk neu erschließen und zur Quelle von politischen, historischen, kulturellen und filmischen Visionen machen. Im Rahmen von Konferenzen, die noch bis zum November im Collegium Hungaricum Berlin stattfinden werden, sollen Ansätze und Fragestellungen, die Fassbinders mittlerweile historischen Arbeiten zugrunde liegen, auf unsere Gegenwart bezogen werden – eine Einstellung, die Fassbinders Grundhaltung entspricht. Dafür werden Film- und Medienfachleute, Schauspieler, Kritiker, Philosophen und Wissenschaftler eingeladen, aus seinem Nachlass neue Energien zu gewinnen – für das Filmland Deutschland und darüber hinaus. Abgestimmt auf die Themen der Konferenzen lädt das Zeughauskino jeweils im Vorfeld der Veranstaltungen zur Wiederentdeckung der Filme von Rainer Werner Fassbinder ein. Eine aktualisierte Fassung des Veranstaltungsprogramms findet sich unter der Adresse: www.handsonfassbinder.de. Die Veranstaltungsreihe Hands on Fassbinder wird vom Hauptstadtkulturfonds gefördert.

 

HANDS ON FASSBINDER

Fontane Effi Briest
BRD 1974, R: Rainer Werner Fassbinder, B: Rainer Werner Fassbinder, nach dem Roman von Theodor Fontane, D: Hanna Schygulla, Wolfgang Schenck, Karlheinz Böhm, Ulli Lommel, 141‘            35 mm

Die 17-jährige Effi Briest wird mit dem 20 Jahre älteren Baron Geert von Innstetten verheiratet. Einsam in ihrer neuen Heimat, einem Ostsee-Badeort, beginnt sie eine lose Beziehung zu Major Crampas, die mit dem Umzug der Familie Innstetten nach Berlin endet. Als Effis Mann sechs Jahre später von der Affäre erfährt, fordert er den Major zum Duell heraus, tötet ihn und verstößt Effi.
Fontane Effi Briest war der bis dahin aufwendigste Film Fassbinders. Besonders wichtig war Fassbinder der Charakter der Literaturverfilmung: „Man soll an dem fertigen Film ganz klar merken, dass das ein Roman ist und dass an dem Roman nicht das Wichtige ist, dass er eine Geschichte erzählt, sondern wie er sie erzählt. Die bisherigen Effi Briest-Verfilmungen zeigen sehr wenig von der Zeit und von Fontanes Sicht auf diese Zeit. Ich finde das verkehrt, es sollte immer spürbar sein, dass das eine von jemand einmal erzählte Geschichte ist.“ (Rainer Werner Fassbinder, Stuttgarter Zeitung, 1.12.1972). Ordnet man die erzählten Geschichten aller Fassbinder-Filme chronologisch, steht Fontane Effi Briest am Anfang von Fassbinders Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte. Die Rolle, die er dabei als kritischer Chronist einnahm, machte ihn in den Worten Wolfram Schüttes zum Balzac Westdeutschlands. (hb)

am 13.9.2012 um 20.00 Uhr

 

HANDS ON FASSBINDER

Faustrecht der Freiheit
BRD 1975, R: Rainer Werner Fassbinder, B: Rainer Werner Fassbinder, Christian Hohoff, D: Rainer Werner Fassbinder, Peter Chatel, Karlheinz Böhm, Rudolf Lenz, 123‘ 35 mm

Mehreren Filmen Fassbinders liegt die folgende Konstellation zugrunde: Eine Figur gibt oder verkauft etwas und erhofft sich dafür eine Gegenleistung, die zwar keinen Marktwert, jedoch einen hohen sentimentalen, sexuellen oder affektiven Stellenwert besitzt. Das Resultat ist immer das gleiche: Die sich nach Zuneigung sehnende Person stürzt ins Verderben, Gefühle lassen sich nicht gegen Geld eintauschen. Neben Händler der vier Jahreszeiten und Ich will doch nur, dass ihr mich liebt gehört Faustrecht der Freiheit zu den eindrücklichsten Arbeiten Fassbinders, die diesen Kreislauf als Ausgangspunkt haben. Der junge Franz Bieberkopf – wegen seiner Arbeit auf dem Jahrmarkt auch „Fox, der tönende Kopf“ genannt – gewinnt im Lotto eine halbe Million: ein Gewinn, der sich schnell als Fluch erweist. Franz verliebt sich in den Antiquitätenhändler Eugen, den er mit seinem Lottogewinn unterstützt. Dabei will Franz nicht wahrhaben, dass er nach Strich und Faden ausgenommen wird und Eugen ihn nur des Geldes wegen „liebt“. Das Drehbuch von Faustrecht der Freiheit lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass es ungut für Franz enden wird. „Es ist sicher der erste Film, in dem die Mitwirkenden Homosexuelle sind, ohne dass die Homosexualität zu einem Problem gemacht wird. Immer in Filmen, Theater oder Romanen, wenn Homosexuelle auftreten, war das Problem die Homosexualität, oder aber es war eine komische Nummer. Aber hier wird die Homosexualität als etwas ganz Normales gezeigt, und das Problem ist etwas ganz anderes, nämlich eine Liebesgeschichte, wo einer die Liebe des anderen ausnutzt, und das ist eigentlich die Geschichte, die ich immer erzähle." (Rainer Werner Fassbinder in einem Interview auf dem Filmfestival in Cannes 1975). (hb)

am 14.9.2012 um 18.30 Uhr

 

HANDS ON FASSBINDER

Warnung vor einer heiligen Nutte
BRD 1971, R/B: Rainer Werner Fassbinder, D: Lou Castell, Eddie Constantin, Hanna Schygulla, Ulli Lommel, Marquard Bohm, Rainer Werner Fassbinder, 103‘         35 mm

Was macht ein Filmteam, wenn es nicht arbeiten kann? In einem Hotel an der spanischen Küste warten die Mitarbeiter einer internationalen Filmproduktion ungeduldig auf die Ankunft des Regisseurs, den Star des Films, das Filmmaterial sowie das deutsche Fördergeld. Als der Regisseur Jeff endlich eintrifft, findet er eine gelangweilte Gruppe vor, in der sexuelle Intrigen und Machtspiele den Alltag bestimmen. Ehe er gänzlich die Kontrolle verliert, versucht Jeff vergeblich, mittels Wutanfällen einen Rest an Autorität zu wahren. Das Warten geht jedoch unvermindert weiter.
Oft wird Warnung vor einer heiligen Nutte als ein Abbild der Dreharbeiten des im Jahr zuvor gedrehten Westerns Whity interpretiert. Zwar verlief dessen Produktion tatsächlich äußert kompliziert und schmerzhaft, doch tut diese Sichtweise Warnung vor einer heiligen Nutte Unrecht. Fassbinder gelingt eine präzise Analyse der Dynamik zwischen einem Anführer und dessen Untergebenen und wie in vielen späteren Filmen geht es schlussendlich auch hier um Machtverhältnisse zwischen Tätern und Opfern. Und wer ist die heilige Nutte? Laut Michael Töteberg fand sich in Fassbinders Nachlass die folgenden Inhaltsangabe: „Und ohne dass sie (gemeint sind die Schauspieler, das Team, der Regisseur) es recht merken ist aus dramatisierter Hysterie und klischierter Leidenschaft etwas entstanden, was sie nie recht greifen konnten, was den Grund ihrer Verwirrung ausmachte, was sie sündigen und beten ließ: der Film, der sie anzieht und der sich ihnen entzieht, der Film – eine heilige Nutte.“ (hb)

am 14.9.2012 um 21.00 Uhr

 

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Martha
BRD 1974, R/B: Rainer Werner Fassbinder, K: Michael Ballhaus, D: Margit Carstensen, Karlheinz Böhm, Gisela Fackeldey, Adrian Hoven, Barbara Valentin, 116‘ 35 mm

Martha ist 31 Jahre alt, unverheiratet und noch Jungfrau. Als sie während eines Aufenthalts in Rom den eleganten und höflichen Geschäftsmann Helmut kennen lernt, verliebt sie sich sofort in ihn. Kurz darauf heiraten die beiden, Martha ist überglücklich. Doch Helmut entpuppt sich als ein sadistischer Ehemann, der seine Frau zunehmend isoliert und terrorisiert.
Die überraschende wie provozierende Besetzung Karlheinz Böhms als Sadist; eine Inszenierung, die möglichst viel Platz für die Fantasie der Zuschauer lässt sowie Fassbinders präziser Blick auf Mechanismen der Unterdrückung machen Martha zu einem Film, der bewusst die Extreme sucht. Vor allem Marthas Passivität wurde 1974 bei der Erstausstrahlung heftig kritisiert. Fassbinder konterte: „Die meisten Frauen wurden so erzogen, dass sie vollkommen zufrieden sind, wenn diese Unterdrückungsmechanismen bei ihnen greifen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht unter ihnen leiden – natürlich tun sie das. (...) Sogar in Martha, in dem Martha selbst zu einem großen Teil Verantwortung trägt für das, was mit ihr passiert, sogar da scheint es mir völlig klar zu sein, dass die Voraussetzungen für ihr Verhalten in ihrer Erziehung liegen. Von dieser Warte aus betrachtet, ist Martha, wie alle meine Filme, ein Film für Frauen und nicht gegen sie.“ (hb)

am 19.10.2012 um 21.00 Uhr
am 25.10.2012 um 20.00 Uhr

 

HANDS ON FASSBINDER

Angst vor der Angst
BRD 1975, R/B: Rainer Werner Fassbinder, D: Margit Carstensen, Ulrich Faulhaber, Brigitte Mira, Irm Herman, Armin Meier, Ingrid Caven, 88‘   35 mm

Der 1975 für den WDR produzierte Fernsehfilm Angst vor der Angst ist zu Unrecht einer der weniger bekannten Filme Fassbinders. Erneut erzählt Fassbinder aus der Perspektive einer Frau von einer Gesellschaft, die durch Anpassung und Unverständnis geprägt ist. Margot Staudte führt eine unscheinbare wie überschaubare Ehe mit ihrem Mann Kurt. Doch eines Tages überfällt sie eine diffuse Angst, die sie nicht mehr loslässt und die sie nicht näher beschreiben kann. Das Unverständnis ihrer nächsten Umgebung – Ehemann, Nachbarn, Schwiegermutter – macht alles nur noch schlimmer und Margot versucht immer mehr, sich vor ihrem eigenen Leben zu verstecken. Fassbinder beschreibt einen Zustand, den es in der kleinbürgerlichen Welt seiner Protagonisten eigentlich gar nicht geben darf: Denn wen keine größeren materiellen Sorgen plagen, wer bodenständig verheiratet ist und in Bälde das zweite Kind erwartet, der darf keine Angstzustände entwickeln. Margots Angst bleibt diffus, ein klinischer Befund interessiert Fassbinder nicht. „Der Film zeigt, wie jemand, der versucht, ein Leben zu führen, das sich selber fremd ist, unvermeidlich zerschmettert wird. Das Leben, das diese Frau führen muss, ist nicht ihr Leben. Diese Art der ‚Krankheit‘ setzt bei jedem ein, der wahrzunehmen beginnt, dass das Leben, das er führt, vielleicht nicht das Leben ist, das er führen möchte, und dass die meisten Leute in ihrem Leben einfach eine Rolle spielen, die nicht ihre Rolle ist.“ (Rainer Werner Fassbinder). (hb)

am 26.10.2012 um 19.00 Uhr

 

HANDS ON FASSBINDER

Angriff auf die Demokratie – Eine Intervention
D 2012, R: Romuald Karmakar, Mitwirkende: Franziska Augstein, Friedrich von Borries, Carolin Emcke, Julia Encke, Romuald Karmakar, Nils Minkmar, Ingo Schulze, Joseph Vogl, Harald Welzer, Roger Willemsen, 102’     HD, OmeU

Montage einer Veranstaltung vom Dezember 2011, die der Soziologe Harald Welzer im Berliner Haus der Kulturen der Welt organisiert hatte. Aus den Mitschnitten für ZDF/3sat rekonstruiert Karmakar minutiös das Ereignis: zehn Intellektuelle, Mitglieder der „Deutungselite Deutschlands“ wurden aufgefordert über die aktuelle politische Krise des Euro, der staatlichen Institutionen und der Weltwirtschaft zu sprechen. Die kritische Haltung aller Beteiligten kann vorausgesetzt werden und der Zuschauer kann sich ganz den vielen Erlebnisebenen, die ihm die einzelnen Sprecher bieten, hingeben. Wie unterschiedlich sind nicht nur die Argumentationen sondern auch die Gesichtsausdrücke, Anspannungen, sprachlichen und mimischen Eigenheiten der einzelnen Sprecher. Durch die minimalistische Montage (fast) ohne Zwischenschnitte sind einem die Gesichter und Stimmen der hochspannenden Denker ganz nah. Nur Karmakars eigener Kurzfilm, der nach alphabetischer und logistischer Reihenfolge der Auftritte genau in der Mitte liegt, öffnet mit einem lakonischem Vorspanntext zur Bewegung der Märkte, das Bild auf eine grüne Ziegenwiese. Es geht darum, miteinander Alternativen zu suchen. „Denken Sie daran, es ist nie so wie man es uns erzählt“ (Nils Minkmar). (sw)
am 26.10.2012 um 21.00 Uhr

 

 
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