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Filmregisseurinnen standen in der Stummfilmzeit vor besonders großen Herausforderungen. Setzte ihre leitende Mitwirkung an der Filmproduktion nicht ohnehin schon ein hohes Maß an Durchsetzungskraft, Mut und Ausdauer voraus, mussten sich Regisseurinnen – damals wie heute – in einer von Männern dominierten Branche behaupten und gegen Vorurteile zur Wehr setzen, die ihnen mangelnde Qualifikation und Robustheit unterstellten. In ihrer 1951 verfassten und erst 1996 erschienenen Biografie Licht und Schatten weist Leontine Sagan, Regisseurin des einzigartigen Spielfilms Mädchen in Uniform (1931) darauf hin, dass man Frauen, die als Regisseurinnen arbeiten möchten, nach wie vor mit Misstrauen begegnet und ihren Ideen meist ablehnend gegenübersteht.

Die Retrospektive Filmpionierinnen! widmet sich – erstmals in diesem Umfang – dem Filmschaffen von Regisseurinnen in Deutschland von 1917 bis 1932. Neben Lotte Reiniger, Leni Riefenstahl und Leontine Sagan, deren Namen und teilweise auch Filme einem breiteren Publikum bekannt sind, konzentriert sie sich auf das erstaunlich weite Feld in Vergessenheit geratener Filmemacherinnen. Die Arbeitsbereiche vieler dieser Frauen vereinten – im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen – mehrere Tätigkeiten. Die ersten in der Filmbranche arbeitenden Frauen schrieben Drehbücher, agierten als Schauspielerin, führten Regie und produzierten ihre Filme. Einerseits in gleich mehrfacher Hinsicht herausgefordert, garantierte ihnen diese Arbeitsweise andererseits eine gewisse Unabhängigkeit und Kontrolle über die Filmproduktion.

Die thematische und ästhetische Spannbreite weiblichen Filmschaffens in der Stummfilmzeit ist auffällig groß. Mit Blick auf das überwiegend weibliche Publikum entstehen dramatische Liebesgeschichten (etwa Um Krone und Peitsche von Fern Andra oder Die Augen von Jade von Iwa Raffay), ferner Komödien (etwa Der Narr seiner Liebe von Olga Tschechowa) und Melodramen (zum Beispiel Das große Licht von Hanna Henning). Regisseurinnen wie Gertrud David, Marie M. Harder und Ella Bergmann-Michel filmen angesichts drängender sozialer Probleme. Andere, wie die Ethnologin Gulla Pfeffer und die Zoologin Lola Kreutzberg, reisen ins Ausland und erkunden außereuropäische Orte und Kulturen. Nicht zuletzt fallen avancierte Formen ins Auge: Lotte Reinigers Silhouettenfilme, die Puppentrickfilme von Hedwig und Gerda Otto sowie die experimentellen Arbeiten von Stella F. Simon und Ella Bergmann-Michel.

Bisher konnten die Namen von über 30 Frauen recherchiert werden, die bereits während des Ersten Weltkriegs in der deutschen Filmbranche auch hinter der Kamera arbeiteten. Die produktivste unter ihnen – Hanna Henning – war neben Louise Kolm-Fleck und Fern Andra zugleich eine der ersten, die selber Regie führte. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs konnten viele Frauen ihre Filmkarrieren in der Weimarer Republik weiterverfolgen, doch endete diese für fast alle im Nationalsozialismus. (Gerlinde Waz)

Die von Kristina Jaspers, Philipp Stiasny und Gerlinde Waz kuratierte Retrospektive Filmpionierinnen! stellt die Arbeiten ganz unterschiedlicher Regisseurinnen der Stummfilmzeit vor. Sie begibt sich damit auf ein filmhistorisches Terrain, das erst seit kurzem eingehender untersucht wird und dessen Filmerbe ebenso bedroht ist wie das vieler anderer in Vergessenheit geratener Stumm- und Tonfilme. Umso größer ist die Freude, dass einige Filme der Retrospektive kürzlich gesichert werden konnten und nun erstmals in Berlin wieder zu sehen sind. Wir danken allen Archiven für ihre Unterstützung.