Un-American Activities
Filme des „anderen Amerika“ auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche vor 1990
Auf der Leipziger Dokumentarfilmwoche wurden zu DDR-Zeiten in knapp dreißig Jahren über 150 Filme aus den USA gezeigt. Ab 1962 gab es keinen Festivaljahrgang, bei dem das führende Land des „imperialistischen Blocks“ nicht im Programm vertreten war, in den 70er und 80er Jahren sogar oft mit bis zu zehn Filmen. Diesem bislang kaum erforschten Kapitel der Festivalgeschichte widmete sich die vielbeachtete Retrospektive des letztjährigen DOK Leipzig Festivals. Der Titel Un-American Activities verweist dabei auf das „Komitee für un-amerikanische Aktivitäten“, einen Untersuchungsschuss des US-Abgeordnetenhauses, der ursprünglich 1938 eingesetzt worden war, um gegen Nazi-Sympathisanten in den USA vorzugehen, nach Ende des Zweiten Weltkriegs jedoch zu einem notorischen Instrument der anti-kommunistischen Hetzjagden wurde, die man heute vor allem mit Senator Joseph McCarthy assoziiert.
In vielen Filmen, die die Kuratoren Tobias Hering und Tilman Schumacher für die Retrospektive gesichtet und teils wiederentdeckt haben, spielt der rechts-konservative Rollback nach der relativ progressiven Roosevelt-Ära eine wichtige Rolle. Noch in den 80er Jahren war in den in Leipzig gezeigten US-Filmen das Bedürfnis nach einer linken Geschichtsschreibung spürbar, die das Trauma der McCarthy-Zeit überwinden sollte und an frühere Traditionen vor allem der amerikanischen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung anknüpfte. 1981 trug das Leipziger Festival selbst zu dieser Geschichtsschreibung bei mit einer großen Retrospektive zum politischen US-Dokumentarfilm der 30er und 40er Jahre.
Das Narrativ, dass die Vereinigten Staaten ein Land seien, in dem „progressive“ Bewegungen unter dem Banner des Anti-Kommunismus systematisch verfolgt wurden, passte ins Feindbild USA, das in der DDR offiziell gepflegt wurde. Aber auch die Tatsache, dass politische Repression und soziale Ungerechtigkeiten in den USA selbst auf Widerstand stießen und systemkritische Dokumentarfilme hervorbrachten, ließ sich mit einem komplexeren Bild vereinbaren, das sich wiederum die DDR-Gesellschaft von den USA machte. Zugespitzt könnte man behaupten, dass es für den Überbau der realsozialistischen Gesellschaft ebenso wichtig war, dass die Sowjetunion historisch im Recht blieb, wie dass sich in den USA der Traum von einem besseren Amerika erhalte, das man sich als ein sozialistisches Land vorstellen konnte.
Wenn die Filme und Filmemacher*innen, die das Leipziger Festival einlud, dieses „andere Amerika“ repräsentieren sollten, so taten sie dies mal bewusst, mal unbewusst, mal widerwillig, mal aus Überzeugung, mal mit einem Schmunzeln oder Achselzucken. Dass fast jedes Interview mit einem Gast aus den USA, das in den Leipziger Festivalprotokollen abgedruckt wurde, mit einem Bekenntnis für den Sozialismus endete, sollte man nicht immer für bare Münze nehmen. Zugleich ist nicht zu unterschätzen, dass politisch aktive und oft militante Filmemacher*innen in den USA viel für ihre Ideale aufs Spiel setzten. Sie hätten es sich auch leichter machen können, aber sie wählten den Weg des erhöhten Widerstandes. Und nicht nur darin wirken die „Un-American Activities“ der 60er bis 80er Jahre hoch aktuell. (Tobias Hering und Tilman Schumacher)
In sieben Programmen wiederholen das Filmmuseum Potsdam und das Zeughauskino vom 15. bis 25. Januar 2026 Teile der Leipziger Retrospektive.





