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Wie bringt man ein so distinktes wie disparates Werk wie das von Lutz Dammbeck auf einen Nenner? Wie erklärt man es sich? Sollte man dabei autobiografisch vorgehen oder gar psychologisch? Vielleicht wohnt der künstlerischen Arbeit in zwei Systemen automatisch eine gewisse Zerrissenheit inne? Vielleicht bringt das Arbeiten in der DDR wie das Arbeiten in der Bundesrepublik eine bestimmte Tönung mit sich, unmöglich genau zu lokalisieren, genauso unmöglich zu ignorieren? Und doch gibt es spezifische Eigenschaften, die sowohl die frühen Animations- und Experimentalfilme als auch die Mediencollagen und die Dokumentarfilme vereinen: zum einen der Unwille zum bloßen Gefallen, der Unwille zum Opportunismus, den Konflikt, den Widerspruch nicht scheuend, ihn vielleicht sogar provozierend; zum anderen ist es der Wille, einen Gedanken zielstrebig zu verfolgen, mit all seinen unvorhergesehenen Kurven und Nebenstraßen. Dass Dammbeck dabei in beiden Systemen aneckte, ist nur folgerichtig.

Seine Methode ist die Collage. Eine Arbeitsweise, die er sich bis zu den Dokumentarfilmen bewahrt und über die Jahre perfektioniert hat. Nur besteht die Collage nicht mehr wie im Animationsfilm im Zusammensetzen verschiedener Bildelemente, sondern im Ineinanderschieben vermeintlich unzusammenhängender Ideen, Theorien und Interviews. Der Collage-Gedanke äußert sich bereits im Einsatz unterschiedlichster Medien. So gab es bei Das Netz ein Buch zum Film (mit Ted Kaczynskis Unabomber-Manifest), eine Installation, Collagen auf Papier und eine Website. Bei Overgames kamen noch ein Radiofeature und ein Tour-Tagebuch mit zusätzlichen Informationen und Eindrücken der Screenings hinzu. Und auch wenn der Film im Mittelpunkt steht, ist er doch Teil eines größeren Ganzen, genauer: des „Herakles-Konzepts“, eines interdisziplinären, intermedialen Projekts, das jene unsichtbaren Prozesse beleuchten soll, die unsere Welt konstituieren.

Seine Dokumentarfilme sind kein Infotainment, auch kein Schwelgen in vermeintlicher Authentizität, wie es das Direct Cinema suggeriert, und kein ziellos poetischer Bildersturm: „Sie sind vielmehr Versuchsanordnungen gesellschaftlicher Situationen, die Dammbeck als Systeme begreift, welche sich vor allem durch ihre Unentrinnbarkeit auszeichnen.“ (Matthias Flügge) Sie sind kunstvolle, interdisziplinäre Mindmaps, streng komponiert, aber in ihrer Wirkung ungemein assoziativ. Diese Gratwanderung – auf festen theoretischen Füßen zu stehen und gleichzeitig auf jegliche Lektion zu verzichten – ist vielleicht Dammbecks größte Stärke.

Sein Impetus ist ein aufklärerischer, dem ein ständiger Zweifel, aber auch eine Faszination für die Zeichen innewohnt, aus denen sich die Welt zusammensetzt. Diese Zeichen, ihre Interaktion, ihre Kommunikation sind es, die ihn interessieren. Dammbeck versucht, das Selbstgespräch eines offenen, eines codierten Systems zu entschlüsseln und uns daran teilhaben zu lassen. „Ein jedes Medium zwingt […] einer verworrenen, konflikthaften, widersprüchlichen Welt seine abstraktere, kohärentere Logik auf, zwingt sich uns als Medium auf, das, um mit McLuhan zu sprechen, selbst die Botschaft ist“ , so Jean Baudrillard. Wahrheiten verschwinden, indem sie durch die Normierungsverfahren der Massenmedien gejagt werden, gerieren sich als Mythen, gleichbedeutend mit Werbekampagnen und Gameshows. „Die Abwesenheit eines festen Bildes des Gottes ist seine Macht“, heißt es in Herakles Höhle. Die verborgenen Mechaniken der Welt hinter all dem Zeichengestrüpp aufzuspüren, die konkurrierenden Macht- und Denksysteme ausfindig zu machen, kurz: den Geist in der Maschine zu zeigen – das ist die Aufgabe von Dammbecks Werk. (Sven Safarow)

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