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Ein Porträt durchleutet – Das Bild einer Nonne im Wandel der Zeit

von Mathias Lang, Gemälderestaurator am Deutschen Historischen Museum

2010 erwarb das Deutsche Historische Museum mithilfe einer Spende des Museumsvereins ein Gemälde mit der Darstellung Anna Gertrud Levens. Sie war ab 1798 Priorin des Dominikanerinnenklosters St. Gertrud in Köln. Bereits zwei Jahre nach ihrer Berufung, 1802, wurde das Kloster unter Napoleon im Zuge von Säkularisierungsmaßnahmen aufgelöst. Auf dieses Ereignis verweist in einer lateinischen Beschriftung das Banner links im Bild. Gertrud Leven wird darauf neben zwölf anderen Schwestern als Erste genannt. Verfasser des Textes ist Johann Adolph Dederich – Kellermeister des Klosters. Auf dem durch Engel getragenen Tuch auf der rechten Seite des Bildes ist das Kloster zu sehen. Zunächst wurde angenommen, dass das Gemälde – in diesem Kontext stehend – auch um 1802 entstanden ist.

Zweifel an der Entstehungszeit

Eine erste Begutachtung des Gemäldes in der Restaurierungswerkstatt ließ Zweifel an seiner Entstehungszeit aufkommen. Unter dem Mikroskop wurden unter der Farbschicht Grundierungsschichten in der Abfolge einer dunklen braunen unter einer roten Schicht erkennbar. Diese Art der zweifarbigen Grundierung der Leinwand fand besonders im 17. Jh. Verwendung. Der Malträger ist nicht industriell hergestellt, was jedoch für die ursprünglich angenommene Entstehungszeit um/nach 1800 typisch gewesen wäre. Denn seit 1780 wurden mehrheitlich auf diese Weise vorgefertigte Leinwände von Künstlern verwendet. Es fehlt jedoch das durch Materialaufbau und Maltechnik erzeugte, für diese Epoche typische Aussehen. Auf den ersten Blick erinnern Träger und Bildalterung an Gemälde aus dem Barock. Wie lässt sich das erklären?

Untersuchung des Gemäldes

Das Gemälde wurde im Streiflicht, mit dem Mikroskop, im Infrarotlicht und mit Röntgenstrahlen untersucht. Dabei wurde deutlich, dass das Bild mehrmals restauriert wurde. Weitere Untersuchungen sorgten zudem für eine Überraschung: Das Porträt von Gertud Leven stellt eine alte Übermalung dar. Die Entstehungszeit einer früher existierenden Darstellung kann tatsächlich in einen Zeitraum von 1650 bis 1720 und damit wahrscheinlich im Barock angesetzt werden. Durch die Untersuchungen zeigte sich, dass auf dem ursprünglichen Gemälde ebenfalls eine Nonne dargestellt war.

Anhand der Ergebnisse der Infrarotaufnahme und der Röntgenaufnahme wurde eine Bildhypothese  des ursprünglichen Gemäldes erstellt. Die Darstellung war zunächst oval konzipiert.

Auf dem Röntgenbild sind in der linken unteren Bildecke ein Tisch erkennbar sowie ein darauf stehendes Kruzifix auf einem Sockel mit Totenkopf. Ein parallel von rechts unten nach links oben über den Tisch verlaufender weiterer Gegenstand kann dagegen nicht zugeordnet werden. Im Hintergrund und auf dem Tisch bilden sich weitere Schwarzweißkontraste ab, die das Vorhandensein zusätzlicher Gegenstände vermuten lassen, die aber ebenfalls nicht identifizierbar sind.

Auf dem Röntgenbild zeigt sich die Malschicht im Hintergrund unter der Fahne links oben verdichtet. Es könnte sich hier um das Vorhandensein einer Draperie im Hintergrund handeln, der Tisch mit dem Kruzifix stünde davor. Zwar bleibt dies eine Hypothese, wäre stilistisch im Vergleich zu ähnlichen Darstellungen der Zeit aber typisch.

Auf der Infrarotaufnahme wird Zusätzliches sichtbar: ein kleinerer Tisch an gleicher Stelle mit einem darauf liegenden Rosenkranz. Dicht unter der jüngsten Malschicht liegt – unter dem Mikroskop erkennbar – ein intensives Rot, das sich auf der Infrarotaufnahme weiß abbildet. Es dürfte sich deshalb um eine rote Tischbedeckung handeln. Der parallel verlaufende Gegenstand ist auch hier zu sehen.

Unterscheidung von drei Bildvarianten

Es können zwei gravierende Veränderungsphasen voneinander unterschieden werden und damit drei Bildvarianten. Innerhalb der ersten Umarbeitung wurde die Darstellung eines Ovals erhalten und die vorhandene Nonne durch das jetzt sichtbare Porträt übermalt. Überlagerungen im Röntgenbild zeigen unter der jüngeren eine ältere Frau, die wesentlich ausgeprägtere Züge besitzt. Gesetzte Helldunkelkontraste stimmen mit barocker Maltechnik überein. Die gesamte Ordenstracht wurde größenbezogen verändert.

Es ist davon auszugehen, dass die Darstellung des Tischs mit dem Kruzifix zur ersten barocken Bildfassung gehört. Das Kruzifix dürfte erhalten geblieben sein. Der zweite Tisch, der im Infrarotlicht zu sehen ist, gehört zu dieser ersten Veränderung – wie auch der Rosenkranz, der über diesen, nun räumlich verkürzten Tisch herunterhängt. Ungeklärt bleibt der längliche Gegenstand und zu welcher Bildversion er gehört.

Innerhalb einer zweiten und zeitlich noch einmal späteren Überarbeitung und der damit dritten Bildvariante wurden der Tisch und das Kruzifix durch ein größeres, frei stehendes Kreuz mit einem Banner übermalt. In der rechten oberen Bildecke kam das Tuch mit der Darstellung des Klosters hinzu. Das ovale Format wurde zugunsten eines Rechtecks aufgegeben. Die unteren Bildecken wurden erst innerhalb späterer restauratorischer Eingriffe übermalt und geschlossen.

Zeitliche Zuordnung der Varianten

Über den Zeitpunkt des ersten, die Darstellung verändernden Eingriffs können nur Vermutungen angestellt werden. Er könnte um 1798 durchgeführt worden sein, aus Anlass der Berufung von Gertrud Leven zur Priorin. Warum ein bereits existierendes Porträt übermalt wurde, bleibt offen. Das jugendliche Aussehen der Dargestellten steht dabei im Widerspruch zum tatsächlichen Alter von Gertrud Leven, die 1802 49 Jahre alt gewesen ist. Möglich ist auch, dass das Bild vor 1800 übermalt wurde, um dann „in aller Schnelle verwendet“ ein Zeugnis des Ereignisses herzustellen. Dies wirft aber die Frage auf, inwieweit es sich bei der die Dargestellten wirklich um Gertrud Leven handelt.

Sicher ist, dass um 1802, zum Anlass der Schließung des Klosters, die zweite Bildfassung in eine dritte umgearbeitet wurde, um ein Erinnerungsbild zu schaffen. Die lateinische Aufschrift auf dem Banner thematisiert dies:

… dem durch die Gallier unterdrückten Klerus und dem Kloster selbst am Feste Kreuzerhöhung lebewohl sagend, lebten die unzertrennlichen Bräute und Schwestern im Geiste und unter der Fahne des gekreuzigten Jesus in Verbannung. In Erinnerung daran legte Johann Adolph Dederich, damals bis ins 24. Jahr Kellermeister des besagten Klosters, Rektor des benachbarten Hospitals Sankt Agnes und zum heiligen Kunibert, Vikar von Sankt Luzia, geboren in Köln in der Gemeinde Sankt Columban am 13. Oktober 1750, dies nieder: Am Feste Kreuzerhöhung begeht die römische Kirche das Gedächtnis an den Triumphzug, in dem der griechische Kaiser Heraklius das heilige Zeichen unserer Erlösung nach Jerusalem zurückbrachte, nachdem es eine zeitlang in den Händen der Perser gewesen war." *(mit freundlichem Dank für die Übersetzung an Frau Hildegard Hügle)

Verborgene Aussage: Pseudo-Chronogramm

Im lateinischen Text sind einzelne Buchstaben in roter Farbe hervorgehoben. Es handelt sich dabei um ein Pseudo-Chronogramm. Ein Chronogramm beinhaltet neben dem Basistext eine weitere Textebene, in der eine zeitliche Aussage verborgen ist. Die Quersumme der im Text hervorgehobenen Zahlbuchstaben in jedem einzelnen Wort bezieht sich dabei auf ein Ereignis. Die im Bild errechnete Quersumme ergibt 1802 und bezieht sich damit auf die Jahreszahl der Schließung des Klosters.

Chronogramme bilden als literarische Kleinkunstform einen Bestandteil der Erinnerungskultur, die vom Mittelalter ausgehend in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ihre Blütezeit fand.

Restaurierungsmaßnahmen

Das Gemälde ist im Laufe der Zeit mehrmals restauriert worden. Retuschen deckten auf Kittungen der Malschicht Schäden ab, die sich besonders im Gesicht, im Habit und im Hintergrund befanden und die weit über noch erhaltene Malerei hinausreichten. Man traf den Entschluss, diese Retuschen und den nicht mehr originalen Firnis abzunehmen. Die Malschicht musste gefestigt werden. Vorhandene stabile Kittungen von Fehlstellen in der Malschicht wurden belassen, neue Fehlstellen gekittet. Seit 2014 sind die Restaurierungsarbeiten abgeschlossen.