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Bürgermeisterin, Rechtsanwältin, Ärztin, Studienrätin. Neben ihren Rollen als Königin von Preußen und Kaiserin von Österreich verkörperte die am 23. April 1924 in Essen geborene Ruth Leuwerik im westdeutschen Unterhaltungskino vor allem berufstätige Frauen und Akademikerinnen: Protagonistinnen, die die überaus populäre Schauspielerin als selbstbewusste und durchsetzungsstarke Frauen profilierte. Unter den weiblichen Stars des Kinos der Adenauer-Ära nimmt Leuwerik damit eine herausragende Stellung ein. Nicht Mädchen, nicht Mutter, nicht „Seelchen“ oder „schmückendes Beiwerk“. Ruth Leuwerik spielte Frauen, die sich jenseits von Heim und Herd behaupten und ihren eigenen Weg gehen wollen – ein Wunsch, der in einer von Männern dominierten Welt auch an Grenzen stößt.

Verkörperte Ruth Leuwerik ideale Frauen? So sehr ihre Figuren der damaligen Gesellschaft und speziell einem weiblichen Publikum Frauenbilder fernab von Rühr- und Tränenseligkeit anboten, sehen wir ihre Filme mittlerweile mit anderen Augen. Die Tugenden der Kontrolliertheit, Bescheidenheit und des Pragmatismus bewerten heute viele anders als Leuweriks Zeitgenossen. Vielleicht liegt die Attraktivität von Leuweriks Frauenbildern weniger in Vorstellungen weiblicher Vollkommenheit als in deren Ambivalenz.

Ruth Leuwerik ist im Laufe der Jahre aus der Zeit gefallen. Ihre Kinokarriere beschränkte sich auf ein knappes Jahrzehnt. Rollenangebote für internationale Produktionen schlug sie aus und fand Mitte der 1960er Jahre nach einer Phase der Regeneration keinen Platz mehr im westdeutschen Kino, das sich im großen Umbruch befand. Das Autorenkino einer neuen Generation von Filmemachern wusste mit ihr nichts anzufangen. Leuwerik zog sich danach aus der Kino- und Fernsehbranche fast vollkommen zurück. Am 12. Januar 2016 starb sie in München.

Die Vorbereitung der Retrospektive Die ideale Frau? Ruth Leuwerik und der westdeutsche Film der 1950er Jahre war ungewöhnlich aufwändig und wartete am Ende mit einer bitteren Erkenntnis auf: Um das Erbe des westdeutschen Unterhaltungsfilms der Adenauer-Zeit, einer der wirtschaftlich erfolgreichsten Epochen des deutschen Kinos, ist es schlecht bestellt. Analoge Kopien sind geschrumpft, verblichen oder schlicht nicht auffindbar. Restaurierungs- oder Digitalisierungsprojekte, die anlässlich des Geburtstages von Leuwerik vor 100 Jahren hätten präsentiert werden können, sind ausgeblieben oder nicht rechtzeitig fertiggestellt worden. Das gilt nicht nur für Nebenwerke, sondern leider auch für Hauptwerke in ihrem Schaffen. So muss unsere Werkschau eines der größten Stars der Fünfzigerjahre lückenhaft bleiben und mitunter auf minderwertige Kopien und nicht für die Kinoprojektion bestimmte Digitalisate zurückgreifen.

Der Titel unserer Reihe spielt auf unseren Eröffnungsfilm Die ideale Frau an. Er zitiert aber auch den Titel einer Ausstellung, die vor 20 Jahren anlässlich von Leuweriks 80. Geburtstag im Filmmuseum Berlin zu sehen war. Dessen damaliger Direktor, der 2023 verstorbene Filmhistoriker Hans Helmut Prinzler, hat sich neugierig, unvoreingenommen und mit großer Leidenschaft für das oft verpönte westdeutsche Kino der 1950er Jahre interessiert. Seine Stars faszinierten ihn in besonderem Maße. Ihm ist die Retrospektive gewidmet. (Jörg Frieß)

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