Direkt zum Seiteninhalt springen

Der Hunger nach Bildern war immens. Nach Bildern, die für kurze Zeit die aus Trümmern, Zukunftsangst und Not bestehende Wirklichkeit verdrängten, in der die wahlweise als Besatzer oder Befreier empfundenen sowjetischen Soldaten den Alltag prägten. Hinzu kam ein Verlangen nach anderen Bildern als jenen der vergangenen 12 Jahre nationalsozialistischer Herrschaft und Filmproduktion.

Bereits wenige Tage nach Einstellung der Kampfhandlungen am 2. Mai 1945 boten in Berlin wieder einzelne Kinos Filmprogramme an. Ende Mai waren es schon über 30 Kinos, und ihre Säle waren voll. Zunächst schien es das Publikum nicht zu stören, dass sowjetische Filme nur in russischen Sprachfassungen gezeigt wurden, neben einigen Kopien amerikanischer Filme aus dem Reichsfilmarchiv. Mit der Ankunft der Amerikaner, Briten und Franzosen im Sommer 1945 wurde das Angebot diverser und die Programmarbeit professioneller. Bald standen auch Filme mit Untertiteln und deutschsprachige Synchronfassungen zur Verfügung, die den Bedürfnissen der Zuschauer entgegenkamen. Als harmlose Unterhaltung eingestufte deutsche Filme aus der NS-Zeit ergänzten die Spielpläne.

Der Viermächtestatus Berlins wirkte sich auf das gesamte Kulturangebot der Stadt aus, in der die vier Alliierten ab Herbst 1945 förmlich um das beste Kinoprogramm wetteiferten. Allerdings waren die Interessen der Besatzungsmächte und des Publikums nicht immer deckungsgleich. Einerseits diente das Kino der Erholung von Sorgen und Strapazen des Alltags. Andererseits wurden die Besucher auf der Leinwand mit den im Namen von Volk und Führer verübten Gräueltaten konfrontiert, und die Alliierten warben für die Segnungen der Demokratie oder die Errungenschaften des Sozialismus.

Daneben gab es zaghafte Versuche, einen „neuen“ deutschen Film aufzubauen. Es entstanden kurze Kultur- und Animationsfilme, im Februar 1946 erschien die erste deutsche Nachkriegs-Wochenschau Der Augenzeuge. Wenige Monate später folgte im Mai die Gründung der DEFA, deren erster Spielfilm, Wolfgang Staudtes Die Mörder sind unter uns, bereits in Arbeit ist.

Die Retrospektive Zwischen Kriegsende und Neuanfang. Die Kinokultur der Alliierten in Berlin 1945/46 lädt dazu ein, die alliierte Kinokultur im Berlin der unmittelbaren Nachkriegszeit kennenzulernen. Sie rekonstruiert historische, aus Wochenschau, Kulturfilm und Hauptfilm bestehende Programme, die in dieser Zeit des Übergangs zu sehen waren, beginnend mit der Befreiung und Besetzung Deutschlands im Mai 1945 bis zur Premiere von Die Mörder sind unter uns im Oktober 1946. Die Filmreihe führt die unterschiedlichen, film- und kulturpolitischen Ansätze der vier Besatzungsmächte vor Augen. Ebenso erinnert sie daran, dass die Kinos der Nachkriegszeit zugleich Orte der Unterhaltung, der Zuflucht und des Lernens waren und dem Publikum als bitter nötiges Fenster in die Welt dienten.

Weitere Vorstellungen der von der Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt geförderten und von CineGraph Babelsberg unterstützten Filmreihe finden an „Originalschauplätzen“ im Kino Krokodil und im Bundesplatz-Kino statt, die bereits 1945/46 unter den Namen Nord-Lichtspiele und Lichtspiele am Kaiserplatz ihr Publikum unterhielten. (Frederik Lang)

Kurator der Retrospektive ist der Filmhistoriker Frederik Lang, der auch die begleitende Publikation Befreite Leinwände. Kinopolitik und Filmkultur in Berlin 1945/46 zur Filmreihe herausgegeben hat, die im Wiener Verlag SYNEMA (ISBN 978-3-901644-94-8) erschienen ist.

Rückblick