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Zbigniew Cybulski war kein Mann der schnellen Sportwagen, er fuhr mit der polnischen Staatsbahn. Er benutzte wie seine Mitbürger die klapprigen Waggons, die über die nach dem Krieg notdürftig geflickten Gleise fuhren. Und die deshalb fast nie pünktlich ankamen und abfuhren. Deshalb konnte man sich auch Zeit nehmen auf dem Weg zum Bahnhof, denn zur Not konnte man immer noch aufspringen. Merkwürdigerweise gibt es gleich mehrere Filme, in denen Cybulski sich auf fahrende Züge schwingt oder von ihnen abspringt. Die Eisenbahn war sein Schicksal. In Salto (1965) von Tadeusz Konwicki schlägt er das Kreuz, bevor er sich in die Böschung neben dem Bahndamm wirft, um dann die nebenliegende Kleinstadt ins Chaos zu stürzen. Als abgewiesener Liebhaber fährt er lange auf dem Trittbrett von Jerzy Kawalerowiczs Pociąg (1959) mit, ohne je seiner Braut dabei näher zu kommen. Schon in Andrzej Wajdas Pokolenie (1954) gehört er als Nebendarsteller zu einer Gruppe von Kohlendieben, die einen Güterwaggon kapern. Zuletzt hat ihm auch das Schlagen des Kreuzes nicht mehr geholfen. Am 8. Januar 1967, also vor gut 55 Jahren, wartete in Warschau ein Drehteam vergeblich auf seinen Hauptdarsteller. Der Rest ist Geschichte, Zbigniew Cybulski starb bei einem Unfall.

Zbigniew Cybulski hat zwischen 1954 und 1967 in 46 Filmen mitgewirkt. Die aktuelle Retrospektive präsentiert davon zehn ausgewählte Beispiele, hinzu kommen zwei posthum entstandene Arbeiten. Dabei wurden sowohl seine berühmten Werke berücksichtigt, als auch einige marginale Produktionen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht unbedingt in das Pantheon der Kinematografie passen. Aber gerade auch in diesen Kuriositäten zeigt sich die Bandbreite seines Spiels. Vielleicht hat er diese Rollen ja nicht nur angenommen, um sich in allen möglichen Genres auszuprobieren, sondern auch, um dem übermächtigen Klischee zu entkommen, das durch seine Darstellung des Maciek in Wajdas Popiół i diament (1958) geprägt wurde. Im Schlüsselfilm Salto trägt er noch einmal sein typisches Outfit zur Schau: getönte Brille, schwarze Lederjacke, robuste Schuhe. Doch etwas ist anders geworden. Inzwischen wirkt diese Uniform wie eine Parodie auf Maciek, wie eine leere Hülle, die an der Figur des ominösen Herrn Kowalski-Malinowski herum schlottert und das dahinter lauernde Vakuum verbirgt.

Cybulskis Unterhaltungsfilme können auch als Befreiungsversuche gesehen werden. In Zbrodniarz i panna (1963) gibt er einen Hauptmann der Kriminalpolizei, in Giuseppe w Warszawie (1964) einen leicht vertrottelten Maler und in Cała naprzód (1966) einen schwadronierenden Matrosen der Handelsmarine. Diese Aufritte sind skurril wie die Filme selbst, aber nicht minder sehenswert. Denn sie offenbaren nicht nur unbekannte Seiten des sonst so coolen Stars, sie eröffnen auch überraschende Blicke auf die polnische Kultur- und Sozialgeschichte. Wenn im für 25 Jahre weggeschlossenen Liebesdrama Ósmy dzień tygodnia (1958) Ruinenlandschaften gleich neben glitzernden Warenhauswelten stehen und die beiden Liebenden einfach keinen Platz für die Liebe finden, so erzählt dies ganz unmittelbar von den Widersprüchen der polnischen Nachkriegsgeschichte. Und dies geschieht sinnlicher, als es lange historische Abhandlungen vermögen. So lädt die Retrospektive Zbigniew Cybulski, der Mann, der nicht ankam dazu ein, einen legendären Schauspieler neu zu entdecken. Cybulski, der von seinen Freunden „Zbyszek“ genannt wurde, war ein Kind der „tragischen Generation“, die von Krieg, Okkupation und Totalitarismus geprägt wurde, und davon handeln meist auch die Filme: „Alles was Zbigniew Cybulski spielte, erzählte auch von ihm selbst.“ (Kazimierz Kutz)

(Claus Löser)

Die Retrospektive Zbigniew Cybulski, der Mann, der nicht ankam, die das Zeughauskino in Zusammenarbeit mit dem Polnischen Institut Berlin präsentiert, ist Teil des Festivals filmPOLSKA. Wir danken Claus Löser für die vielfältige Unterstützung bei der Vorbereitung dieser Reihe.

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