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Ein Gedenkjahr im Zeichen Ludwig van Beethovens – was hat das Kino da zu suchen? War es nicht der Film, der sein Werk verramscht, die Mondscheinsonate und den Kopfsatz der 5. Sinfonie durch permanente Wiederholungen zugrunde gerichtet und Beethovens Kompositionen zum kaum mehr hörbaren Hintergrundrauschen degradiert hat?

Spätestens seit dem 100. Todestag, zu dem ein aufwendiges Stummfilm-Biopic mit Fritz Kortner in der Hauptrolle entstand, scheinen Beethoven-Jubiläen ohne das Kino ebenso wenig auszukommen wie umgekehrt der Film seine zweifelhafte Beziehung mit Beethovens Musik abzuschütteln vermag. Die Retrospektive Vom Klang bewegt. Das Kino und Ludwig van Beethoven zeigt jedoch, dass die filmische Aneignung Beethovens nur in Teilen die Geschichte einer unglückseligen Mesalliance ist.

Die filmhistorische Passage führt zu bekannten Autorenfilmen und vergessenen Kuriositäten, sie wechselt zwischen Spiel-, Dokumentar- und Experimentalfilm und berücksichtigt den nie so ganz ernst genommenen Konzertfilm. Viele der ausgewählten Werke sind auf dem Weg zu Beethoven. Die Filme wirken wie Interpretationen seiner Kompositionen, manche erinnern an das Diktum Samuel Fullers: „Beethoven zieht mich ins Imaginäre, durch sein Gespür für Timing.“ Der Filmregisseur wird zu einem Hörenden, der seine Eindrücke und Phantasien in Bewegungsbilder übersetzt. Zuweilen erlauben sich Regisseurinnen und Regisseure wie Agnieszka Holland oder Werner Schroeter eine derartige Experimentierfreude ohne Scheu vor Respektlosigkeit, dass Beethovens Musik ganz neu wahrnehmbar wird. Zugleich ist der Film zu einem Archiv von über 100 Jahren Beethoven-Interpretationen geworden. Von Beginn an begleitet seine Musik das Kino, und es deutet sich an, dass die Filmgeschichte längst Teil der lebendigen Existenz des Beethoven’schen Werkkosmos geworden ist.

Und Beethoven selber? Biopics stürzen sich mit Vorliebe auf die prominenten Stationen der Musikerbiografie: die Widmung an die rätselhafte „unsterbliche Geliebte“, die Beziehung mit Giulietta Guicciardi und Therese Brunsvik, die Taubheit, die gequälten Haushälterinnen, Beethovens erdrückende Liebe für seinen Neffen Karl … Die Biopics unserer Filmreihe interessieren sich aber nicht nur für die verbürgten Stationen seiner Biografie, sie folgen eher einem Gedankenspiel, wie es im Programmheft des National Film Theatre in London bei der Ankündigung von Abel Gances großartigen Un grand amour de Beethoven zu lesen war: „Beethoven hat sich vermutlich nicht, als er erfuhr, dass seine Geliebte einen anderen heiratet, auf der Empore jener Kirche versteckt, wo die Zeremonie stattfinden sollte, um sie mit dem auf der Orgel gespielten Trauermarsch aus Eroica zu betäuben. Wenn er es nicht getan hat, so hätte er es eigentlich doch tun sollen, weil es einfach eine großartige Szene ergibt.“ Hierin liegt das Faszinierende an der Begegnung von Film und Beethoven: Mit dem Erbe des Komponisten geht das Kino viel eigenständiger und radikaler um, als zuweilen die Literatur und die Musikwissenschaft. Statt vor Respekt zu erstarren, lassen sie sich von der Musik bewegen.

Die von Stephan Ahrens kuratierte Retrospektive Vom Klang bewegt. Das Kino und Ludwig van Beethoven ist ein Projekt im Rahmen von „BTHVN 2020“, gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien und unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten. Begleitend zur Filmreihe ist im Bertz + Fischer Verlag der gleichnamige Sammelband Vom Klang bewegt erschienen.

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