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Natur und deutsche Geschichte. Glaube – Biologie – Macht

More Story

Unabhängig vom Museumsbesuch erhalten Sie mit dem digitalen Angebot „More Story“ Einblicke in die Ausstellung. Raphael Gross, Präsident des Deutschen Historischen Museums, ordnet die Ausstellung in die Programmatik des Hauses ein. Kuratorin Julia Voss berichtet über das Konzept der Ausstellung und Projektleiterin Dorlis Blume erklärt, was die Besucherinnen und Besucher erwartet.

Natur ist ein schillernder und politisch aufgeladener Begriff. Was wird darunter verstanden? Wie hat sich dieses Verständnis im Spannungsfeld von Glaube, Biologie und Macht verändert? Im Zentrum der Ausstellung steht die Frage, wie und warum sich die Vorstellungen von Natur gewandelt haben. Behandelt werden 800 Jahre deutsche Geschichte. Der historische Bogen reicht von den Schriften der Äbtissin Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert bis zum Entstehen der Umweltpolitik in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts.

Miniatur zur gedeihenden und versiegenden Grünkraft aus „Liber divinorum operum“ der Hildegard von Bingen, vierte Vision, Rheinisches Skriptorium, zweites/drittes Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts

Miniatur zur gedeihenden und versiegenden Grünkraft aus „Liber divinorum operum“ der Hildegard von Bingen, vierte Vision, Rheinisches Skriptorium, zweites/drittes Jahrzehnt des 13. Jahrhunderts

© Biblioteca Statale di Lucca

Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“ wurde etwa hundert Jahre nach seinem Erscheinen bebildert. Zur Natur zählte er die Erde und alle Sphären des Kosmos

Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“ wurde etwa hundert Jahre nach seinem Erscheinen bebildert. Zur Natur zählte er die Erde und alle Sphären des Kosmos

© DHM

Mittelalter

Um 1200 wurden im deutschsprachigen Raum viele Städte und Klöster gegründet. Weite Kulturlandschaften aus Feldern, Wiesen und Weiden entstanden. Hildegard von Bingen beschäftigte sich mit dem Begriff der „viriditas“, der grünen Schöpferkraft, die ihrem Verständnis nach allem Werden zugrunde lag. Noch war das Wort „Natur“, das als lateinisches Fremdwort ins Deutsche kam, wenig verbreitet. Das änderte sich spätestens im 14. Jahrhundert, mit Konrad von Megenbergs „Buch der Natur“. Es gilt als das erste systematische deutschsprachige Kompendium über die geschaffene Natur.

Diese Kopie des „Erdapfels“ von Martin Behaim entstand 1892, das Original wurde Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg geschaffen

Diese Kopie des „Erdapfels“ von Martin Behaim entstand 1892, das Original wurde Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg geschaffen

© DHM

Frühe Neuzeit

Im Fortgang werden in der Ausstellung weitere Fenster auf historische Wendepunkte oder prägende Ereignisse geöffnet, in denen sich der Naturbegriff wandelt. Die Augsburger Fugger etwa stiegen zu einem der mächtigsten Handelshäuser Europas auf, mit einem weitverzweigten Netzwerk. Mit jedem Jahrhundert traf ein wachsender Strom aus Pflanzen, Tieren und Waren im deutschsprachigen Raum ein und sollte diesen weiter verändern. Wann und wie wurde die Kartoffel aus Peru zum urdeutschen Gemüse? Was interessierte die Forscherin und Künstlerin Maria Sibylla Merian in Frankfurt am Main am asiatischen Seidenspinner? Der internationale Austausch spornte Forschende und Gelehrte dazu an, das Bild einer regelhaften und Gesetzen unterworfenen Natur zu entwickeln.

Zu den Veränderungen zählten auch großräumige Zerstörungen: Während der Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges stieg der Wolf zum Symbol von Gewalt und Verwüstung auf. Darauf bezieht sich der abgebildete Wolf des Ausstellungsplakats. 

Friedrich Fröbel gründete in Thüringen den ersten Kindergarten. Zum Spielen in der Natur sollten 1844 seine „Mutter- und Kose-Lieder. Dichtung und Bilder zur edlen Pflege des Kindheitlebens“ anregen

Friedrich Fröbel gründete in Thüringen den ersten Kindergarten. Zum Spielen in der Natur sollten 1844 seine „Mutter- und Kose-Lieder. Dichtung und Bilder zur edlen Pflege des Kindheitlebens“ anregen

© Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz

Industrialisierung und Nationalsozialismus

Die Industrielle Revolution begann in Deutschland um 1830. Mit ihr kamen Eisenbahnen, Dampfschiffe und Fabriken, Fortschritte in Medizin und chemischer Industrie sowie die individuelle Motorisierung im 20. Jahrhundert. Die schnellen Veränderungen prägten das Naturbild. Kultur und Natur wurden zunehmend als Gegensätze verstanden. In Politik, Gesellschaft und Wissenschaft wurde diskutiert, was als „natürlich“ zu gelten habe. Die Nationalbewegung erklärte den „deutschen Wald“ zum natürlichen Ursprung einer gemeinsamen Identität. In den neu gegründeten Kindergärten sollten Jungen und Mädchen „natürlich“ gebildet werden. Ein neues Wort kam auf: „Naturschutz“. Von 1933 an versuchten schließlich die Nationalsozialisten die Norm einer „deutschen Natur“ zu schaffen. Ihrem ideologischen Naturbegriff wurden Bevölkerungen und Landschaften mit brutalen Mitteln unterworfen. Die „Nürnberger Gesetze“ und das „Reichsnaturschutzgesetz“ wurden im selben Jahr erlassen: 1935.

Modell des Eimerketten-Raupen-Schwenkbaggers ERs 700, Magdeburg, 1953/1956. Eimerkettenbagger formten die Landschaft im Lausitzer Braunkohlerevier seit den 1890er Jahren

Modell des Eimerketten-Raupen-Schwenkbaggers ERs 700, Magdeburg, 1953/1956. Eimerkettenbagger formten die Landschaft im Lausitzer Braunkohlerevier seit den 1890er Jahren

© DHM

Geteiltes Deutschland

In beiden Teilen Deutschlands stieg in den 1950er Jahren der Energiebedarf rasant an. In der Bundesrepublik lieferten Kohle aus dem Ruhrgebiet und importiertes Erdöl die Energie. In der DDR entstanden riesige Abbaugebiete für Braunkohle. Beide Staaten führten die industrielle Tierhaltung ein. 

Die wachsende Konzentration an Schadstoffen belastete Luft und Wasser. Es entstand ein neues Wort: „Umweltschutz“. In Wyhl am Kaiserstuhl formierte sich erfolgreich eine bürgerliche Protestbewegung gegen den Bau eines Atomkraftwerks. Auf den Plakaten tauchten Bilder aus der deutschen Geschichte auf: Motive des Bauernkriegs im 16. Jahrhundert.