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Zahlreiche renommierte Akteure des nationalsozialistischen Kunstbetriebs arbeiteten auch nach 1945 haupt-beruflich als bildende Künstler in der Bundesrepublik: Sie produzierten Werke für den öffentlichen Raum, erhielten wichtige Aufträge von Staat, Wirtschaft und Kirche, lehrten an Kunstakademien, nahmen an Wettbewerben teil und waren in Ausstellungen vertreten. Ihre Gestaltungen von Standbildern, Reliefs und Gobelins auf Plätzen, an Fassaden und in Foyers prägen bis heute das Gesicht vieler Innenstädte. Dabei konnten sie auch von dem anti-modernistischen Klima der ersten Nachkriegsjahrzehnte profitieren.

Das Deutsche Historische Museum nimmt die „Gottbegnadeten-Liste“ zum Ausgangspunkt für die Untersuchung dieses bislang weitgehend vernachlässigten Themas: die Nachkriegskarrieren „gottbegnadeter“ Künstler wie Arno Breker, Hermann Kaspar, Willy Meller, Paul Mathias Padua, Werner Peiner, Richard Scheibe und Adolf Wamper. Die Liste war im August 1944 im Auftrag von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zusammengestellt worden: 378 Künstlerinnen und Künstler, unter ihnen 114 Bildhauer und Maler, galten fortan als „unabkömmlich“ und blieben vom Front- und Arbeitseinsatz verschont.

Die Ausstellung „Die Liste der ,Gottbegnadeten`. Künstler des National-sozialismus in der Bundesrepublik” (27.8. – 5.12.2021) zeigt erstmals, wie präsent diese Akteure im öffentlichen Raum, aber auch in Einrichtungen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens waren. Dabei werden ihre Netzwerke, die Wahl der Bildthemen und die Rezeption ihrer Arbeiten ebenso in den Blick genommen wie die damit verbundene Frage nach Kontinuität und Anpassungsleistung. Parallel zur Ausstellung „documenta. Politik und Kunst“ (18.6.2021 – 9.1.2022) wird so die Vorstellung eines vermeintlich radikalen kunstpolitischen Neuanfangs in der jungen Bundesrepublik revidiert.

Prof. Dr. Raphael Gross, Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum: „Die Popularität der ,gottbegnadeten` bildenden Künstler und ihr visueller Beitrag zur NS-Ideologie waren immens. Auf den ersten Blick scheint ihre Verstrickung in den antisemitischen und antimodernistischen NS-Kunstbetrieb deshalb eine bruchlose Fortsetzung ihrer Karrieren nach 1945 auszuschließen. Umso überraschender der Befund unserer Ausstellung: noch immer sind zahlreiche Spuren im öffentlichen Raum präsent. Die Beschäftigung mit diesem Erbe ist eine noch heute anspruchsvolle Aufgabe.”

Prof. Monika Grütters, Staatsministerin für Kultur und Medien: „Diese Ausstellung des Deutschen Historischen Museums gibt einen weiteren wichtigen Anstoß für Kultureinrichtungen, sich noch intensiver als bisher mit der Frage nach dem eigenen dunklen Erbe aus der Zeit des Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Sie offenbart, dass viele von den Nationalsozialisten als unabkömmlich angesehene und daher vom Front- und Arbeitseinsatz verschont gebliebene Künstlerinnen und Künstler ihre Karriere in Deutschland nach 1945 fortsetzen konnten. Es gab eben auch hier keine ‚Stunde Null‘, sondern viele Kulturmanager und Kreative konnten weiterarbeiten oder in neuen Positionen reüssieren. Mit ihren Werken sind sie vielfach nach wie vor im öffentlichen Raum präsent. Dies zur Diskussion zu stellen, ist das große Verdienst dieser Ausstellung.“

Hortensia Völckers, Künstlerische Direktorin der Kulturstiftung des Bundes: „Das Deutsche Historische Museum erforscht mit der Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘“ eine beträchtliche Gedächtnislücke in der deutschen Kulturgeschichte, die weit über die Nachkriegszeit hinaus tradiert und beschwiegen wurde. Dass von den Nazis begünstigte Künstler auch in der Bundesrepublik unbeschadet ausstellen oder durch Aufträge der öffentlichen Hand bruchlos in der Bundesrepublik ihre Karrieren fortsetzen konnten, wird unbestreitbar und in ihrer Detailfülle eindrucksvoll dokumentiert. Die Ausstellung entlarvt die Selbstgerechtigkeit, mit der wir auf einen vermeintlich gelungenen Bruch mit der Vergangenheit zurückblicken und ihn als Vorbild für den Umgang mit dem kulturellen Erbe anderer Epochen zu propagieren. Sie könnte einen neuen historischen Maßstab für die Erinnerungskultur setzen, die sich verstärkt auf die Spur fataler Kontinuitäten begibt.“

Der Kurator Wolfgang Brauneis: „Dass viele der renommierten Protagonisten des nationalsozialistischen Kunstbetriebs auch in den Nachkriegsjahrzehnten erfolgreich gewesen sind, wurde lange Zeit von der wirkmächtigen kunsthistorischen Erzählung des Neuanfangs nach 1945 überblendet. Wir nehmen dieses spezielle Thema von zeitgeschichtlicher Warte aus in den Blick und hoffen, auf diesem Weg einen Beitrag zur Revision des kunsthistorischen Kanons und der Nachkriegsmoderne zu leisten.”

Rund 300 Skulpturen, Gemälde, Gobelins, Modelle, Zeichnungen, Fotografien, Film- und Tondokumente, Plakate, Originalpublikationen sowie TV- und Presseberichte zeigen auf zwei Etagen, wie ehemals „gottbegnadete” Maler und Bildhauer bis in die 1970er Jahre in der Bundesrepublik, aber auch in Österreich und vereinzelt in der DDR abseits der bedeutenden Museen hauptberuflich arbeiteten. Exemplarische Biografien und städtische Karrierenetzwerke belegen, wie weit die strukturellen Spielräume dabei reichten. Am Beispiel von Arbeiten wie Arno Brekers „Pallas Athene“ (1957) macht der Kurator Wolfgang Brauneis stilistische und ikonografische Eigenheiten, die Rahmenbedingungen ihrer Entstehung und ihre Rezeption deutlich: Mit seiner Wuppertaler Plastik verabschiedete sich Breker vorübergehend von der Monumentalität der Skulpturen, wie sie heute noch auf dem ehemaligen Berliner Reichssportfeld zu sehen sind. Gleichzeitig war das Motiv der Pallas Athene eine in der NS-Zeit populäre Darstellung. Den Auftrag verdankte Breker der Initiative des ebenfalls „gottbegnadeten“ Architekten Friedrich Hetzelt.

Um den Erwartungshaltungen öffentlicher Auftraggeber und dem Kunst-geschmack des breiten Publikums gerecht zu werden, erbrachten diese Künstler zum Teil erhebliche inhaltliche und formale Anpassungsleistungen an die politischen Systeme. Anders als bei Werken moderner Kunst gab es bei der Präsentation von gegenständlichen Arbeiten ehemals renommierter Künstler des Nationalsozialismus kaum Debatten oder Proteste. Eine Ausnahme ist Hermann Kaspars Gobelin „Die Frau Musica“ (1969) in der Nürnberger Meistersingerhalle: Das Geschenk des Bayerischen Staates an die Stadt Nürnberg führte über mehrere Jahre zu Diskussionen. Symbolträchtige Mahnmale wie Richard Scheibes „Ehrenmal für die Opfer des 20. Juli 1944“ (1953) im Berliner Bendlerblock oder Willy Mellers Skulptur „Die Trauernde“ (1962) vor dem ersten bundesrepublika-nischen NS-Dokumentationszentrum in Oberhausen sorgten dagegen kaum für kritische Stimmen. Auch Richard Eichlers antimodernistischer Bestseller „Könner Künstler Scharlatane“ aus dem Jahr 1960 belegt, dass weder die Künstler noch die Kunstauffassung des Nationalsozialismus nach 1945 verschwunden waren.

Als Bundespräsident Theodor Heuss 1955 die erste documenta eröffnete, konnten bildende Künstler des Nationalsozialismus schon deshalb nicht vertreten sein, weil ihre Karrieren und Werke mit dem dort propagierten Selbstverständnis der jungen Bundesrepublik nicht vereinbar waren. Zahlreiche repräsentative Auftragsarbeiten zeigen allerdings, dass auch sie maßgeblich an das kulturpolitische Programm der Bundesrepublik gebunden waren. Nur zwei Monate vor der ersten documenta hatte Heuss den Kongresssaal des Deutschen Museums in München eröffnet. Dessen monumentales Wandmosaik hatte Hermann Kaspar, Chefausstatter der Reichskanzlei, 1935 begonnen und 1955 nach kriegsbedingten Unterbrechungen vollendet.

Die historisch-kritische Ausstellung führt mit einer geografischen Spurensuche zurück in die Gegenwart: Eine multimediale Präsentation dokumentiert am Ausstellungsende fotografisch etwa 300 Arbeiten von Künstlern der „Gottbegnadeten-Liste“ in Deutschland und Österreich, die sowohl im Nationalsozialismus als auch nach 1945 entstanden und noch heute im öffentlichen und halböffentlichen Raum zu finden sind. Die interaktive Karte bietet weiterführende Informationen zu den Werken, Künstlern und Auftraggebern und soll stetig erweitert werden.

Im Prestel Verlag erscheint eine begleitende Publikation in deutscher Sprache (216 Seiten, 135 Farbabbildungen und vier große Übersichtskarten auf Klapptafeln, 34 €).

Die Ausstellung wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes.

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