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Entthront und Verweltlicht

Bereits im Ersten Koalitionskrieg von 1792 bis 1797 gelang es Frankreich, weite Teile Europas zu erobern. Nach anfänglichen Rückschlägen wurde 1793 in Frankreich die „Levée en masse“ (Massenaushebung), die erste Form einer Wehrpflicht, eingeführt. In der Folge konnte Frankreich die Koalition durch Friedensschlüsse mit einzelnen Staaten aufbrechen. So unterzeichnete Preußen 1795 den Frieden von Basel und gab seine linksrheinischen Territorien auf. Zwei Jahre später musste Österreich im Frieden von Campo Formio die Österreichischen Niederlande an Frankreich abtreten.

Den Zweiten Koalitionskrieg von 1799 bis 1802 entschied Napoleon durch Siege über die Österreicher in Norditalien und in Süddeutschland. Österreich musste 1801 im Frieden von Lunéville die französischen Eroberungen weitgehend bestätigen. Mehrere deutsche Staaten verloren ihre Gebiete westlich des Rheins und mussten entschädigt werden.

Die Napoleonischen Kriege veränderten Deutschlands politische und geografische Landkarte von Grund auf. Die über 300 Territorien des Heiligen Römischen Reiches gingen in größeren Staaten auf. Kirchliche und weltliche Macht wurden getrennt. Damit beendete Napoleon die im Heiligen Römischen Reich konservierten mittelalterlichen Verhältnisse in Deutschland.

Wer ist hier Kaiser?


Seit dem frühen Mittelalter hatte die Vorstellung bestanden, das römische Kaisertum sei zunächst auf die fränkischen, dann auf die deutschen Herrscher übergegangen. Als ranghöchster christlicher Herrscher sah sich der Kaiser gleich dem Papst als Nachfolger Christi auf Erden. Über Jahrhunderte standen fast ununterbrochen die österreichischen Habsburger an der Spitze des Heiligen Römischen Reiches. Und mochte die Bedeutung des Kaisertums im 18. Jahrhundert auch nachgelassen haben, so blieb doch seine Einzigartigkeit. Diese endete am 2. Dezember 1804: in der Kathedrale Notre-Dame in Paris krönte sich Napoleon Bonaparte zum Kaiser der Franzosen. Durch Titel, Symbole und Anwesenheit des Papstes erhob Napoleon Anspruch auf dieselbe römische Tradition wie der Erwählte Römische Kaiser, der Habsburger Franz II.

Kaiser Franz tat es Napoleon sicherheitshalber gleich und ernannte sich selbst einfach nochmal zum Kaiser – von Österreich.

Alte und neue Reiche

Die Tinte unter den Friedensverträgen von Lunéville und Amiens war kaum getrocknet, als deutlich wurde, dass die Unterzeichner nicht gewillt waren, die Friedensbedingungen einzuhalten. Erneut bildete sich eine Koalition gegen Napoleon. In der Schlacht bei Austerlitz 1805 – im Dritten Koalitionskrieg – erlitten Russen und Österreicher eine empfindliche Niederlage gegen die französische Armee. Im folgenden Frieden von Pressburg musste Kaiser Franz II. nicht nur österreichische Territorien abtreten und Napoleons Kaisertitel akzeptieren, sondern auch die Bildung eines Bundes deutscher Fürsten mit Frankreich hinnehmen. In diesem Rheinbund unterstellten sich im Juli 1806 mehrere deutsche Fürsten dem Schutz Napoleons. Gleichzeitig erklärten sie ihren Austritt aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Kaiser Franz II. erklärte das Reich daraufhin für erloschen und legte die jahrhundertealte Krone nieder. In weiser Voraussicht hatte er sich bereits ein neues Kaisertum in Österreich geschaffen. Bis 1808 traten fast alle deutschen Staaten dem Rheinbund bei.

Bereits vor Gründung des Rheinbundes hatten sich einige deutsche Staaten auf Napoleons Seite geschlagen und bei Austerlitz gegen Kaiser und Reich gekämpft. Die Belohnung bestand nicht nur aus bedeutenden Gebietsgewinnen, sondern auch in neuen Titeln für die Fürsten. Wo es vorher nur Herzöge oder Landgrafen gab, regierten nun Könige und königliche Hoheiten.

Niedergang Preußens

Mit dem Friedensschluss von Basel 1795 hatte Preußen die erste Koalition gegen das revolutionäre Frankreich verlassen. Die Eroberungen im Zuge der dritten Teilung Polens im selben Jahr waren für Preußen bedeutsamer als die Unterstützung der Verbündeten. In den folgenden Jahren verfolgte Preußen unter dem neuen König Friedrich Wilhelm III. eine Neutralitätspolitik und war zunehmend isoliert. Der preußische König wagte es nicht, sich gegen Napoleon zu stellen, und sah sich schließlich im Dezember 1805 von diesem zu einem Bündnis genötigt: für preußische Gebietsabtretungen bot Napoleon dem König im Tausch das Kurfürstentum Hannover an. Als Napoleon es sich dann anders überlegte und Hannover den Briten zurückgab, erklärte Preußen Frankreich den Krieg. In der Erinnerung an die Kriegserfolge Friedrichs des Großen waren die Preußen siegesgewiss. Umso niederschmetternder war die Niederlage der preußischen Armee im Oktober 1806 in den Schlachten bei Jena und Auerstedt. Der königliche Hof floh aus Berlin und Königin Luise unternahm einen „Bittgang“ zu Napoleon. Das machte zwar die Königin populär, hatte aber keinen Einfluss auf den Friedensschluss. In den Verhandlungen in Tilsit 1807 sorgte der russische Zar Alexander I. für den Fortbestand des Königreichs. Allerdings war dies nur noch halb so groß wie zuvor. Auf den einst von Preußen besetzten polnischen Gebieten war nun das Herzogtum Warschau erstanden.

Verrat fürs Vaterland

Nach dem Frieden von Tilsit 1807 waren mit Ausnahme Schlesiens alle preußischen Festungen von französischen Soldaten besetzt und Preußen musste der französischen Grand Armée eigene Truppen zur Verfügung stellen. So unterstützten 1812 auch preußische Soldaten Napoleon bei seinem Russlandfeldzug. Ein preußischer General leitete eigenmächtig die Wende ein und beging Hochverrat: Entgegen seinen Befehlen ließ Ludwig von Yorck die russische Armee nach Ostpreußen ein, um die französischen Truppen zu verfolgen. Damit sorgte er für einen Seitenwechsel, den König Friedrich Wilhelm III. nachträglich befürwortete. Die Bevölkerung Preußens erfuhr dies direkt vom Monarchen. In seinem Aufruf „An mein Volk!“ wandte sich Friedrich Wilhelm III. nicht nur an die eigenen preußischen Untertanen, sondern an alle „Deutschen“.
Die meisten „Deutschen“ kämpften jedoch in der entscheidenden Schlacht bei Leipzig auf Napoleons Seite.

Nach viertägigen Kämpfen war die Schlacht bei Leipzig am 19. Oktober entschieden. In der Folge brach Napoleons Herrschaft über die deutschen Staaten zusammen. Das Königreich Bayern hatte bereits Anfang Oktober die Seiten gewechselt. Nach dem Sieg der Alliierten bei Leipzig löste sich auch der Rheinbund auf. Nur der König von Sachsen hielt Napoleon weiter die Treue, während immer mehr sächsische Truppen zur gegnerischen Seite überliefen. Der Krieg war dadurch jedoch noch nicht beendet. Erst nach dem Einmarsch der Alliierten in Paris Anfang April 1814 dankte Napoleon als Kaiser der Franzosen ab und ging auf die Insel Elba ins Exil.

Napoleon verdankte seinen Aufstieg bis hin zum Kaiser der Franzosen seinen militärischen Erfolgen. Anders als die „geborenen“ Monarchen Europas musste er bei einer Niederlage auch mit seinem Sturz als Herrscher rechnen. In diesem Sinne sagte er im April 1813 bei Verhandlungen in Dresden zum österreichischen Minister von Metternich:

„Eure Majestäten, die auf dem Thron geboren sind, halten es aus, zwanzigmal geschlagen zu werden. Jedesmal kehren sie zurück in ihre Hauptstadt. Ich bin nur der Sohn des Glücks. Ich würde von dem Tag an nicht mehr regieren, an dem ich aufhörte, stark zu sein, an dem ich aufhörte, Respekt zu erheischen“.

Mit Napoleons Verbannung nach Elba schien seine Geschichte an ihr Ende gekommen. Zahlreiche Karikaturen stellten seinen Aufstieg und Fall dar.

Der Adlerflug

Ab September 1814 verhandelten die europäischen Mächte auf dem Wiener Kongress über die Nachkriegsordnung und zu leistende Entschädigungen. Dabei gerieten die Verbündeten so sehr in Streit, dass zeitweilig sogar ein neuer Krieg möglich schien. Da sah Napoleon seine Chance gekommen: Mit 1000 Mann landete er am 1. März 1815 in Frankreich. Bald liefen etliche französische Kommandeure samt ihren Armeen zu ihm über und Festungen ergaben sich ihm kampflos. Der zwischenzeitlich eingesetzte König Ludwig XVIII. ergriff die Flucht und keine drei Wochen später residierte Napoleon wieder als Kaiser in Paris.
Diesen überraschend schnellen Marsch – nach Napoleons kaiserlichem Wappentier auch „Adlerflug“ genannt – und die Anpassungsfähigkeit der Pariser Presse beschreiben die folgenden fiktiven Schlagzeilen.

Die neuerliche Bedrohung durch Napoleon brachte die Alliierten zu einem erfolgreichen Abschluss des Wiener Kongresses. Im Juni begannen sie ihre Truppen in den Niederlanden zusammenzuziehen. Napoleons Chance lag darin, die einzelnen Armeen zu schlagen, bevor sie sich vereinen konnten. Ihren letzten Sieg errangen die französischen Truppen am 16. Juni in der Schlacht bei Ligny über die preußische Armee unter General Blücher. Diese konnte sich jedoch zurückziehen, so dass der britische General Wellington zwei Tage später bei Waterloo auf Verstärkung hoffen konnte.

„Ich wollte, es wäre Nacht oder die Preußen kämen!“
Ausspruch Wellingtons in der Schlacht bei Waterloo

Unter hohen Verlusten konnten die Alliierten ihre Stellungen bis zum Eintreffen der Preußen halten. Napoleons Armee wurde bei Waterloo vernichtend geschlagen und die Schlacht damit sinnbildlich für eine große Niederlage.

Heldenfiguren

In den folgenden Jahren wurden vor allem an Schlachtorten Denkmäler für die Befreiungskriege errichtet. Das bekannteste Denkmal wurde erst 1913 zum hundertjährigen Jubiläum der Völkerschlacht in Leipzig errichtet. Nach der Gründung des deutschen Nationalstaates 1871 hatte sich der „Deutsche Patriotenbund“ um dessen Errichtung bemüht. Das Denkmal markiert damit Anfang und Ende der „nationalen Sammlung“. Nach dem Aufstieg Preußens zur Führungsnation in Deutschland wurde vor allem dessen Erinnerungskultur maßgeblich. Vor dem Halleschen Tor wurde bei Berlin auf einem Hügel das Nationaldenkmal errichtet. Der Künstler Karl Friedrich Schinkel gestaltete es mit einem Eisernen Kreuz an der Spitze. Dieses wurde später namensgebend für den entstehenden Bezirk Kreuzberg. Die dort angelegten Straßen wurden allesamt nach bedeutenden Militärs oder Schlachten der Befreiungskriege benannt.

Königin der Herzen

Neben allen steinernen und gusseisernen Denkmälern, den nach Generalen und Schlachten benannten Straßen und Plätzen, die an die Befreiungskriege erinnerten, bildete sich in Preußen ein besonderer „Erinnerungsort": Das Andenken an die 1810 jung verstorbene Königin Luise verband sich mit dem Kampf gegen die napoleonische Besatzung. Schon 1798 nannte der Dichter August Wilhelm Schlegel Luise eine „Königin der Herzen“. Mit dem Aufstieg Preußens zur Führungsmacht in Deutschland und der Gründung des Nationalstaates wurde das Andenken Luises immer mehr verklärt und die Königin zum Vorbild deutscher Frauen und Mütter stilisiert.

Ein Orden für jeden


Noch als Konsul stiftete Napoleon 1802 den Orden der Ehrenlegion für militärische oder zivile Verdienste. Anders als es die Bezeichnung „Ritter“ für die niedrigste Stufe vermuten lässt, gab es bei der Ordensstiftung einen gravierenden Unterschied zu früheren Ritterorden: Erstmals konnte jeder französische Bürger aufgrund militärischer oder ziviler Verdienste eine Auszeichnung erlangen. Diese Veränderung zeigte symbolisch die Abkehr vom Geburtsprinzip des Adels und die Hinwendung zum Leistungsprinzip der bürgerlichen Gesellschaft. Insofern stand der neue Orden für das revolutionäre Prinzip der Gleichheit und sollte jedem – vor allem kämpfenden – Franzosen vor Augen führen, dass persönliches Engagement zu gesellschaftlichem Aufstieg führen konnte.


In Preußen stiftete König Friedrich Wilhelm III. im März 1813, zeitgleich mit der Kriegserklärung an Frankreich, das Eiserne Kreuz. Wie die französische Ehrenlegion war die Auszeichnung nicht auf den Adel oder die oberen Ränge des Militärs beschränkt. Friedrich Wilhelm III. skizzierte die Form des Ordens höchstselbst und beauftragte anschließend den Berliner Architekten und Künstler Karl Friedrich Schinkel mit der Ausgestaltung. Friedrich Wilhelm III. datierte das Datum der Stiftungsurkunde zurück auf den Geburtstag seiner Frau Luise. So wurde die Auszeichnung im Kampf gegen Frankreich verbunden mit dem Gedenken an die verstorbene preußische Königin. Kaiser Wilhelm I. wiederholte die Stiftung des Eisernen Kreuzes im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71. Auch im Ersten und Zweiten Weltkrieg wurde es verliehen. Während die französische Ehrenlegion bis heute besteht, dient das Eiserne Kreuz in modernisierter Form als Erkennungszeichen der Bundeswehr.

Frieden für Europa

Nach dem Sieg über Napoleon in Leipzig 1813 und der Rückkehr des französischen Königs Ludwig XVIII. schlossen die Alliierten und Frankreich am 30. Mai 1814 den Frieden von Paris. Darin skizzierten sie bereits die künftige Ordnung für den europäischen Kontinent. Nach den Umwälzungen durch die Revolutionskriege, die Säkularisierung, Mediatisierung und die Begründung neuer Staaten durch Napoleon musste ein Ausgleich gefunden werden. Dabei ging es den Großmächten nicht darum, die Landkarte Europas wiederherzustellen, sondern letztlich Staaten, Ressourcen und Menschen so zu verteilen, dass sich ein stabiles Mächtegleichgewicht auf dem Kontinent ergab. Nach ersten Konferenzen in London und verschiedenen Treffen von Monarchen und Ministern der beteiligten Staaten schien es auf einen schnellen Vertragsschluss in Wien hinauszulaufen. So bot die Zusammenkunft in Wien ab September 1814 erstmals viel Raum für Feierlichkeiten, während sich die Verhandlungen zäher gestalteten, als gedacht. Erst Napoleons Flucht und Herrschaft der 100 Tage zwang die mittlerweile zerstrittenen Alliierten zu neuerlicher Eintracht.

Wo bleibt die Nation?

Unter französischer Besatzung hatte sich in Teilen der Gesellschaft in den deutschsprachigen Staaten ein Gefühl nationaler Zusammengehörigkeit verbreitet. Am populärsten drückte es der Dichter Ernst Moritz Arndt in seinem Gedicht „Des Deutschen Vaterland“ (1813) aus. Der gemeinsame Sprachraum war dabei genauso bedeutsam wie der feindliche Blick auf Frankreich. Die Vorstellungen von einer deutschen Nation wurden vor allem von Studenten weitergetragen und verbanden sich zunehmend mit liberalen Freiheitsidealen des Bürgertums. So wurden in der späteren Betrachtung die Befreiungskriege zum Kampf für die deutsche Nation erhoben. Für die monarchischen Regierungen waren nationale Ideen eine Bedrohung ihres Herrschaftsanspruchs. Sie kämpften jeweils auf der Seite, die am vielversprechendsten für ihren Machterhalt oder die Ausdehnung ihrer Macht war. Bei der Gründung des Deutschen Bundes 1815 waren daher weder nationalstaatliche Überlegungen noch ein deutsches Sprachgebiet entscheidend, sondern die Grenzen des früheren Heiligen Römischen Reiches. Durch die von Russland, Österreich und Preußen begründete „Heilige Allianz“ wurde die vorrevolutionäre Ordnung religiös überhöht. Göttlicher Wille und christliche Nächstenliebe sollten die Politik der europäischen Regierungen bestimmen und den Frieden in Europa erhalten. Im Gegensatz zu dieser unverbindlichen Allianz hielt das beim Wiener Kongress austarierte System des Gleichgewichts in Europa ein ganzes Jahrhundert.