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Die deutsche Frauenbewegung

Mit der 1865 erfolgten Gründung des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF) durch Louise Otto-Peters und Auguste Schmidt begann die organisierte Form der Frauenbewegung in Deutschland. Frauen hatten bereits mit der Märzrevolution von 1848 Mündigkeit und Selbständigkeit gefordert, wurden aber durch das Versammlungs- und Vereinigungsrecht daran gehindert, sich zusammenzuschließen. Der ADF trat besonders für das Recht auf Bildung und Erwerbsarbeit für bürgerliche Frauen ein. Bis dahin war es Frauen nach Abschluss der Höheren Töchterschule nur möglich, Lehrerin zu werden. Helene Lange gründete dazu verschiedene Ausbildungsinstitute und versuchte über Petitionen, die wissenschaftliche und schulische Ausbildung für Mädchen und Frauen an die der Männer anzugleichen.

 

Gegen steife Ordnungen in Familie und Gesellschaft formierte sich im wilhelminischen Deutschland eine vielschichtige Reformbewegung. Über Generationen hinweg galt beispielsweise die durch das Korsett hervorgerufene Wespentaille als weibliches Ideal. Seit der Jahrhundertwende bekämpften nun neben Ärzten zumeist Frauenrechtlerinnen das traditionelle Korsett als Gefahr für die Gesundheit, aber auch als Symbol der Unfreiheit der Frauen. Für die meisten Frauen, insbesondere für die Fabrikarbeiterinnen, aber standen wirtschaftliche und soziale Probleme im Vordergrund.

Die Belange der Fabrik- und Lohnarbeiterinnen wurden von der proletarischen Frauenbewegung mit ihrer Führerin Clara Zetkin vertreten. Die proletarische Frauenbewegung war in die internationale sozialistische Arbeiterbewegung eingebettet und wollte daher die volle Frauenemanzipation durch eine Revolution erreichen. Die Frauenerwerbstätigkeit, das "Recht auf Arbeit", war für sie kaum ein Thema. Da die Zahl der Fabrikarbeiterinnen im 19. Jahrhundert kontinuierlich stieg, standen vielmehr die Verbesserung der harten Arbeitsbedingungen und die im Vergleich zu den männlichen Kollegen weitaus schlechtere Bezahlung sowie Arbeiterinnen- und Mutterschutz auf dem Programm.

Zur Vernetzung der vielen unterschiedlichen Frauenvereine wurde 1894 der Bund Deutscher Frauenvereine (BDF) als Dachverband gegründet, der sich außerdem dem "International Council of Women" (ICW) anschloss. Die Vereine der proletarischen Frauenbewegung blieben wegen politischer Differenzen ausgeschlossen.

Im Zuge der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuchs um die Jahrhundertwende setzten sich die Frauenbewegungen gemeinsam für die Verbesserung der privatrechtlichen Stellung der Frau ein. Der BDF tastete jedoch die bürgerliche Ehe- und Familienform nicht an. Die Diskussion um die Stellung lediger Mütter und den Abtreibungsparagraph 218 StGB führte innerhalb des BDF zu Richtungsstreitigkeiten zwischen dem konservativen Flügel und reformerischen Vereinen, die die Streichung des Paragraphen forderten. Im BDF setzte sich die konservative Richtung unter Gertrud Bäumer durch, was zu einer weiteren Spaltung der Frauenbewegung führte. Diese Spaltung manifestierte sich im Ersten Weltkrieg, als der BDF aus patriotischen Gründen die Teilnahme am Internationalen Frauenfriedenskongreß in Den Haag verweigerte und sich mit einer vaterländischen Gesinnung beispielsweise in dem von Bäumer organisierten "Nationalen Frauendienst" engagierte.

Die bürgerliche Frauenbewegung mit dem BDF kämpfte weiterhin für das Recht auf Bildung, für freie Berufswahl und die Zulassung zum Universitätsstudium. Das Immatrikulationsrecht wurde zwischen 1900 und 1909 in den Ländern durchgesetzt, 1920 erhielten Frauen das Habilitationsrecht, ab 1924 die Möglichkeit, Richterin zu werden. Außerdem trat 1908 die lang umkämpfte Vereinsfreiheit für Frauen in Kraft, die es Frauen ermöglichte, Mitglieder einer Partei zu werden.

Die Forderung nach politischer Gleichberechtigung blieb innerhalb des BDF umstritten. Erst dem 1902 von Mitgliedern des radikalen Flügels wie Anita Augspurg, Lida Gustava Heymann und Minna Cauer gegründete "Verband für Frauenstimmrecht" gelang es, eine Resolution zum Frauenstimmrecht innerhalb des BDF durchzusetzen. Für die proletarische Frauenbewegung war das Frauenwahlrecht schon immer eine zentrale Forderung gewesen.

Mit der Gründung der Weimarer Republik erhielten Frauen das aktive und passive Wahlrecht. An den Wahlen zur verfassunggebenden Nationalversammlung beteiligten sich 78 Prozent der wahlberechtigten Frauen, 9,6 Prozent der Abgeordneten waren weiblich. Frauen blieben aber auch in den zwanziger Jahren in allen Parteien weiterhin unterrepräsentiert und waren kaum in hohen Parteiämtern vertreten.

Nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler löste sich der BDF auf, um der Gleichschaltung zu entgehen. Dies bedeutete das Ende einer eigenständigen Frauenbewegung in Deutschland und die Loslösung aus internationalen Verflechtungen. Viele der erkämpften Rechte, so das passive Wahlrecht oder der Lohngleichheitsgrundsatz wurden wieder abgeschafft.

Die Tendenz der Zersplitterung setzte sich in der Frauenbewegung in den zwanziger Jahren weiter fort. Der BDF wurde in seiner Ausrichtung konservativer und widmete sich der Bewahrung traditioneller Frauenrollen, während sich die proletarische Frauenbewegung durch die Gründung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) weiter zersplitterte. Die Frauen in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) gründeten 1919 die "Arbeiterwohlfahrt" (AWO). Die pazifistischen Feministinnen schlossen sich wiederum in der "Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit" (IFFF) zusammen. Helene Stöckers "Bund für Mutterschutz und Sexualreform" setzte sich für Sexualaufklärung ein und kämpfte gegen den das Verbot der Abtreibung. Für Frauen aller politischen Richtungen wurde in der Weimarer Republik Sozialarbeit das wichtigste politische Arbeitsgebiet.

Kai-Britt Albrecht
14. September 2014

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