> Vormärz und Revolution

Vormärz und Revolution 1815-1849

Die Beendigung der napoleonischen Herrschaft in Deutschland nach der Völkerschlacht bei Leipzig entfachte bei vielen Deutschen patriotische Begeisterung. Doch ihre Hoffnung auf nationale Einheit wurde bitter enttäuscht: Der am 8. Juni 1815 auf dem Wiener Kongress gegründete Deutsche Bund war kein Bundesstaat, sondern ein Staatenbund aus souveränen Fürstentümern und freien Städten. Klemens Wenzel von Metternich war der Hauptarchitekt der neuen Ordnung in Europa, die Stabilität und eine Ära des Friedens ermöglichte. Politisch Andersdenkenden galt der österreichische Staatsmann jedoch geradezu als Personifizierung der Unfreiheit und Unterdrückung liberaler, nationaler und demokratischer Bestrebungen. In den deutschen Staaten schürten bürgerlicher Reformwille, der Nationalstaatsgedanke und aufkommende Klassengegensätze Konflikte. Politische und soziale Unzufriedenheit bildeten den Nährboden für die revolutionären Umsturzversuche von 1848. Die Epoche hatte 1815 mit weitreichender Enttäuschung über die Nichtgründung eines deutschen Nationalstaates begonnen – und so endete sie 1849 auch.

Radikalisierung und Deutscher Bund

Um die monarchische Legitimität und Ordnung zu bewahren, entwickelte sich der Deutsche Bund unter Führung Österreichs zu einem Instrument der Restauration. Metternich bekämpfte die zum Teil radikal agierenden Nationalbewegungen, um den multiethnischen Zusammenhalt und damit den Bestand des Vielvölkerstaates Österreich zu schützen. In Deutschland kam es erstmals am 18. Oktober 1817 – am 4. Jahrestag der Völkerschlacht – durch rund 500 Studenten auf der Wartburg zu einem weit wahrnehmbaren Protest gegen die antiliberale Politik und zu einer Demonstration für den ersehnten deutschen Nationalstaat. An dem Wartburgfest nahm auch der Student Karl Ludwig Sand (1795-1820) teil. Als dieser am 23. März 1819 mit dem Schriftsteller August von Kotzebue (1761-1819) einen lautstarken Verächter der nationalen Bewegung erdolchte, fand dieser Mord insbesondere in Kreisen der studentischen Burschenschaften ein erschreckend positives Echo. Zur Bekämpfung von systemgefährdendem Extremismus einigten sich führende Politiker der deutschen Einzelstaaten in den „Karlsbader Beschlüssen“ von 1819 auf repressivere Maßregeln.  

Trotzdem konnten im Deutschen Bund die zahlreichen oppositionellen Stimmen für eine freiheitliche Gegenwelt zu Zensur und Repression nicht unterdrückt werden. Gleichzeitig verstärkten sich die sozialen Auseinandersetzungen, in den sogenannten Unterschichten nahmen Verelendungsprozesse und Hungererscheinungen in Städten ebenso wie auf dem Lande zu. Daher kam es in den 1820er Jahren zu wachsenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Spannungen und zu Protesten. Keimzellen der verbalen Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen waren zumindest in Groß- und Mittelstaaten auch die Landtage, in denen ein aufstrebendes Bürgertum zunehmend Einfluss gewann. Selbstbewusst forderten die sich vor allem aus dem Bildungsbürgertum, dem Handel und der Industrie rekrutierenden Anhänger liberaler Ideen eine stärkere Partizipation am politischen Geschehen. Überdruss an der als überkommen angesehenen monarchischen Ordnung, der ungehörte Ruf nach Freiheit und nationaler Einheit sowie eine zunehmende Massenarmut wühlten breite Bevölkerungsschichten auf. In der Revolution von 1830 entluden sich bei vielen Deutschen angestaute Empörung und nationalliberale Leidenschaften.

Forderungen nach Einheit und Freiheit

Als sich 1832 bis zu 30.000 Menschen unter den Farben der Nationalbewegung Schwarz-Rot-Gold zum Hambacher Fest versammelten, zeigte sich, dass liberale und nationale Stimmen trotz der nach 1830 einsetzenden verschärften Repression im Deutschen Bund nicht mehr zu unterdrücken waren. Lautstark forderte eine politisch-literarische Intelligenz Meinungsfreiheit und einen freiheitlich verfassten deutschen Nationalstaat. Doch diese Forderung war noch keine massenbewegende Kraft: Die Mehrheit der oft bitterarmen Deutschen interessierte sich nicht für den liberalen Verfassungsstaat, sondern für das tägliche Essen auf dem Tisch. Auch viele Bürgerliche hatten sich enttäuscht von der Politik abgewandt, um zumindest „häusliche Glückseligkeit“ zu finden. Die später als Biedermeier bezeichnete Kultur, die aus dem Rückzug ins Private hervorging, prägte für Generationen die Vorstellung bürgerlich-familiärer Idylle. 

Stand die Epoche nach 1815 in vielen deutschen Bundesstaaten im Zeichen der „Demagogenverfolgung“ und damit einer rigiden Politik gegen alle nationalen und demokratischen Bewegungen, so schlug auf dem Gebiet der Wirtschaftspolitik insbesondere Preußen eine vergleichsweise liberale Linie ein. Mit der Gründung des Deutschen Zollvereins zwischen 1828 und 1834 wurde die Einheit Deutschlands unter preußischer Führung wenigstens auf wirtschaftlichem Gebiet ansatzweise hergestellt. Angesichts einer Bevölkerungsexplosion nach 1815 und eines Überangebotes an Arbeitskräften waren Pauperismus, Nahrungsmittelteuerungen und Hungerkrisen mit Handelsfreiheit und den zaghaften Anfängen der Industrialisierung nicht einzudämmen. Zwischen 1816 und 1845 stieg die Einwohnerzahl auf dem Gebiet des späteren Deutschen Reiches von knapp 25 auf rund 35 Millionen Menschen. Massenproduktion, sinkendes Lohnniveau und Arbeitslosigkeit verschärften dramatisch die gesellschaftlichen Spannungen und das soziale Elend in den unteren Schichten.  

Die Revolution von 1848/49

Von Paris ausgehend, erschütterten ab Frühjahr 1848 revolutionäre Unruhen weite Teile des europäischen Kontinents. Zentrale Anliegen der politisch interessierten Bevölkerung waren die Schaffung von Nationalstaaten sowie die Neuerung der dynastischen Herrschaftssysteme und der sozialen Ordnung. Neben angestauter politischer Unzufriedenheit und sozialen Konflikten führte auch die schwere Wirtschaftskrise von 1846/47 zu den im Frühjahr 1848 beginnenden revolutionären Erschütterungen in Deutschland.

Einheit und Freiheit waren die Hauptforderungen der Revolution von 1848/49 – zumindest im liberalen Bürgertum. Die bäuerlichen Schichten kämpften hauptsächlich für Agrarreformen, das Hauptanliegen proletarisierter Handwerker in Großstädten war vor allem ein sicheres Auskommen durch Gewerbeschutz. Bei ihnen allen verband sich mit dem Aufbegehren gegen die bestehende Ordnung die Erwartung, dass ihre persönlichen Verhältnisse zum Besseren gedeihen würden. Freiheitlich-liberale wie nationalstaatliche Hoffnungen blieben allerdings unerfüllt: 1849 zerschlug sich die Gründung des angestrebten kleindeutschen Reiches mit verfassungsmäßig garantierten Grundrechten. Schon Zeitgenossen im 19. Jahrhundert galt Deutschland als das Land der Dichter und Denker, denn nur in ihren Köpfen und Werken war der nicht existente Einheitsstaat Wirklichkeit – und so blieb Deutschland bis zur Gründung des Deutschen Kaiserreiches als Nationalstaat 1871 für weitere 22 Jahre nur das Land von Dichtern und Denkern.

Arnulf Scriba
15. September 2014

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