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    "Ostarbeiter" in Wernigerode, 1943

> Der Zweite Weltkrieg

Industrie und Wirtschaft

In einer geheimen Denkschrift zum Vierjahresplan forderte Adolf Hitler im August 1936 die Kriegsbereitschaft der deutschen Wirtschaft innerhalb von vier Jahren. Als drei Jahre später der Zweite Weltkrieg begann, war Hitlers Forderung nur in Ansätzen erfüllt. Dennoch war das Deutsche Reich umfassend auf den Krieg vorbereitet und sein Rüstungsstand derart gewaltig, dass sowohl Polen 1939 als auch Frankreich 1940 innerhalb weniger Wochen kapitulieren mussten. Die Kriegführung war auf kurze Feldzüge ausgelegt, da es dem Deutschen Reich für ausgedehnte Abnutzungskriege an Ressourcen fehlte. Um diesen Mangel im weiteren Kriegsverlauf auszugleichen, wurden die eroberten Gebiete vor allem in der Sowjetunion rücksichtslos ausgeplündert. Neben Rohstoffen, Nahrungsmitteln und Maschinen bedurfte es besonders menschlicher Arbeitskraft. Ende 1944 arbeiteten mehr als 7,5 Millionen Fremd- und Zwangsarbeiter in fast allen Bereichen der deutschen Wirtschaft.

 

Lenkung der Kriegswirtschaft

Kompetenzstreitigkeiten und Koordinationsmängel zwischen der Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring, dem Reichswirtschaftsministerium unter Walther Funk und dem von General Georg Thomas (1890-1946) geleiteten Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im Oberkommando der Wehrmacht (OKW) verhinderten zu Kriegsbeginn eine systematische Gesamtwirtschaftsplanung. Eine radikale Umstellung der Wirtschaft auf die Kriegserfordernisse mit einer zentralen Lenkung der Rüstungswirtschaft fand nach dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 nicht statt. Die Wehrmacht beanspruchte hartnäckig die Verantwortung für ihre eigene Rüstungsproduktion, einen Austausch mit zivilen Ingenieuren und Konstrukteuren fand kaum statt. Zu Beginn des Krieges wurden die Vorteile standardisierter Massenproduktion auf deutscher Seite noch nicht erkannt. Die Konsum- und Verbrauchsgüterindustrie produzierte zunächst nahezu unverändert weiter. Zwischen 1938 und 1942 stieg der Industrieindex im Deutschen Reich lediglich von 100 auf 106, allein der Index der Rüstungsproduktion kletterte auf 320, ohne sämtliche Kapazitäten tatsächlich genutzt zu haben. Der Bau von Flugzeugen stagnierte in den ersten beiden Kriegsjahren. Die im August 1940 ambitioniert begonnene "Luftschlacht um England" war so nicht zu gewinnen: Die britische Flugzeugproduktion lag zwischen 1939 und 1941 etwa doppelt so hoch wie die deutsche.

Da sich vor allem die Großkonzerne erfolgreich erfolgreich gegen eine kriegswirtschaftliche Zentralisierung wehrten, war das Ziel von Fritz Todt nach seiner Ernennung zum Minister für Bewaffnung und Munition im März 1940, die nur zum Teil für die Rüstung produzierende Industrie stärker in die Verantwortung einzubinden und den Übergang zur totalen Kriegswirtschaft vorzubereiten. Immer öfter wurde führenden Vertretern von Firmen der Nicht-Rüstung der Titel "Wehrwirtschaftsführer" verliehen, um die Umstellung der Betriebe auf die Belange der Kriegswirtschaft zu dokumentieren. Gewährleistet werden sollte die industrielle Effizienz mit Rücksicht auf den militärischen Bedarf durch einen Lenkungsapparat aus Industrie und Militär unter Vorsitz Todts. Fünf Hauptausschüsse - zuständig für Munition, Waffen und Gerät, Panzerwagen und Zugmaschinen, Allgemeines Wehrmachtsgerät, Maschinen - rationalisierten und standardisierten die Produktion. Stillgelegt werden mussten hunderttausende kriegsunwichtiger Betriebe vor allem im Handwerk. Bis Mitte 1940 nahm die Zahl der im Handwerk Beschäftigten um mehr als eine Million ab, im Handel um weit über 400.000, was allerdings in erster Linie durch Einberufungen in die Wehrmacht zurückzuführen war. Staatlich angeordnete Stilllegungen erfolgten massiv erst ab 1943.

Trotz der Einführung von Lebensmittelkarten und Zuschlägen auf Genussmittel sollte der deutschen Bevölkerung im Krieg eine "Normalität" des Alltagslebens aufrechterhalten werden. Eine totale kriegswirtschaftliche Mobilisierung blieb bis 1943 aus und das Arbeitskräftepotential der Frauen nahezu unberührt. Die dadurch entstandenen ökonomischen Engpässe konnten zunächst durch die Ausbeutung der besetzten Ostgebiete und die Zwangsrekrutierung ihrer Bevölkerung für den Arbeitseinsatz in Deutschland entschärft werden. Besonders im Krieg gegen die Sowjetunion rechneten das NS-Regime und die deutsche Industrie mit reicher Beute an Rohstoffen und Nahrungsmitteln zur Herstellung einer autarken "Großraumwirtschaft" in Kontinentaleuropa unter deutscher Führung. So wuchs die 1937 für Erzbergbau und Verhüttung gegründete Aktiengesellschaft Reichswerke "Hermann Göring" durch zwangsweise Einverleibung ausländischer Großkonzerne im Krieg zum größten Wirtschaftsunternehmen Europas heran. Bis zu einer Million Menschen arbeiteten für den Mammutkonzern, darunter Zehntausende von Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen.

Import und Ausbeutung

Ein Hauptaugenmerk Todts galt der Zuweisung der knappen Rohstoffe und der Vermeidung ihrer unnötigen Vergeudung. Im Deutschen Reich intensivierten sich ab 1940 die schon vor dem Krieg zur "nationalen Aufgabe" deklarierten Materialsammlungen. Die NS-Volkswohlfahrt, die Hitler-Jugend und Schulen sammelten Alt- und Rohstoffe. Ab April 1940 riefen die Behörden regelmäßig zu "Metallspenden" für die Rüstungsbetriebe auf. Mit dem Wirtschaftsabkommen im Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 bezog das Deutsche Reich bis Juni 1941 wichtige Rohstoffe wie Erdöl, Chrom- und Manganerz aus der Sowjetunion. Neben der Sowjetunion war Rumänien für das Deutsche Reich das einzige Versorgungsgebiet für Roh- und Mineralöl. Der Transport des Öls erfolgte mit Tankkähnen über die Donau.

Die Zufuhr des für den Krieg dringend benötigten Eisenerzes aus Schweden sicherte sich Deutschland 1940 durch die Besetzung Norwegens. Aus Ungarn und Bulgarien sowie aus Spanien, Portugal und der Türkei erhielt das Reich ebenfalls unverzichtbare Rohstoffe und Nahrungsmittel. Sämtliches Industriepotential der besetzten oder mit Deutschland verbündeten Staaten wurde gezielt in die deutsche Kriegswirtschaft eingebunden, die zudem durch Auftragsverlagerungen ins Ausland entlastet werden sollte. So produzierte die französische Luftfahrtindustrie bis 1944 über 3.700 Flugzeuge und rund 10.000 Flugzeugmotoren für die deutsche Luftwaffe, französische Automobilhersteller lieferten 1942 und 1943 insgesamt über 52.000 Lastkraftwagen für die Wehrmacht.

Zeitweise deckte das besetzte Dänemark im Zweiten Weltkrieg zu 90 Prozent den Frischfisch- und zu 20 Prozent den Fleischbedarf im Deutschen Reich. Auch die Niederlande und Belgien waren für den deutschen Ernährungssektor und die Industrie unverzichtbar. Aufgrund der vergleichsweise guten Ernährungslage wies das NS-Regime die deutsche Bevölkerung immer wieder darauf hin, dass es zu keinen Engpässen wie im Ersten Weltkrieg kommen werde und dass es keinen Grund zu Hamsterkäufen gebe. Produzenten im besetzten Westeuropa wurden für ihre Lieferungen nach Deutschland unmittelbar durch die jeweiligen staatlichen Kreditinstitute entlohnt. Da ein Finanzausgleich zwischen dem verschuldeten Reich und den westeuropäischen Banken erst nach dem deutschen "Endsieg" erfolgen sollte, nahm das Transfersystem den Charakter inoffizieller Auslandskredite zur Finanzierung des Kriegs an. Zudem hatten die west- und nordeuropäischen Länder die - viel zu hoch berechneten - deutschen Besatzungskosten zu tragen. Allein Frankreich musste mit insgesamt fast 35 Milliarden Reichsmark rund 40 Prozent sämtlicher Besatzungskosten an das Deutsche Reich zahlen. Nach dem Kriegseintritt der USA mit ihrem überlegenen Wirtschaftspotential und einem nahezu ungehinderten Zugriff auf kriegswichtige Ressourcen Ende 1941 war der Rüstungswettlauf für Deutschland nicht mehr zu gewinnen. Gleichwohl kam es ab 1942 zu einer enormen Leistungssteigerung der deutschen Kriegsproduktion.

Nach dem tödlichen Flugzeugabsturz Todts im Februar 1942 ernannte Hitler den Architekten Albert Speer zu dessen Nachfolger im Reichsministerium für Bewaffnung und Munition (ab September 1943: Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion). Zielgerichtet baute Speer die Kompetenzen und Einflussmöglichkeiten seines Ministeriums aus, dem schließlich die zentrale Steuerung der deutschen Gesamtwirtschaft unterstand.

Steigerung der Produktivität

Durch effektives Management sowie durch konsequente Umstrukturierungs- und Rationalisierungsmaßnahmen gelang Speer zwischen Anfang 1942 und Juli 1944 - dem Höhepunkt der Produktivität - eine beachtliche Steigerung des Rüstungsindex von 100 auf 322. Der Ausstoß von Panzern verfünffachte sich in diesem Zeitraum. Verbunden mit der ideologischen Mobilisierung der Bevölkerung wurde diese unter den Bedingungen des "Totalen Krieges" ab 1943 zu Höchstleistungen bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von über 70 Stunden animiert und angetrieben.

Die auswirkungen des Krieges auf die Berufstätigkeit von Frauen waren geringer als im Ersten Weltkrieg. Mit 14,9 Millionen Erwerbstätigen im September 1944 wurde der Vorkriegsstand nur um 300.000 Frauen übertroffen. Unerlässlich für die deutsche Kriegswirtschaft waren ausländische Zwangs- und Fremdarbeiter, deren Rekrutierung der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Fritz Sauckel (1894-1946), aufgrund des steigenden Arbeitskräftemangels ab 1942 intensivierte und die schließlich gut 20 Prozent der Gesamtbeschäftigten ausmachten. Eingesetzt waren sie vor allem in Rüstungsbetrieben und gut zur Hälfte in der Landwirtschaft, in der die propagierte "Erzeugungsschlacht" auch unter schwersten Kriegsbedingungen auf Hochtouren laufen sollte. Allerdings war der gesamte Agrarsektor von einem Rückgang der Nutzflächen und der Produktionsergebnisse gekennzeichnet. Die chemische Industrie war nicht in der Lage, die Bedürfnisse der Landwirtschaft an Stickstoffdünger zur Ertragssteigerung zu befriedigen. Zwischen 1939 und 1944 reduzierte sich die Getreideernte von rund 24 auf 18 Millionen Tonnen. Im gleichen Zeitraum sank die Kartoffelernte von etwa 51 auf 38 Millionen Tonnen. Auch die Herstellung von Landmaschinen ging um 50 Prozent zurück, was den Übergang zur verstärkten Hand- und Spannarbeit unumgänglich machte. Unter dem Defizit fehlender Mechanisierung hatte die deutsche Landwirtschaft auch nach Kriegsende 1945 noch lange zu leiden.

Arnulf Scriba
13. Mai 2015

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