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Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund

Auf Initiative des Alldeutschen Verbands wurde mit anderen völkischen Gruppierungen wie dem Reichshammerbund im Februar 1919 der Deutsche Schutz- und Trutzbund gegründet, der sich ein dreiviertel Jahr später in Deutschvölkischer Schutz- und Trutzbund umbenannte. Die tiefgreifende Umbruchphase nach dem Ersten Weltkrieg, die bürgerkriegsähnlichen Zustände,die Auswirkungen der beginnenden Inflation und die verbreitete Orientierungslosigkeit in der Bevölkerung schufen einen günstigen Nährboden für antisemitische und völkische Propaganda. So zählte der Bund bereits Ende 1919 über 25.000 Mitglieder in 85 Ortsgruppen. Bis zum Jahr seines Verbots 1922 wuchs die Zahl auf nahezu 200.000 Mitglieder in über 600 Ortsgruppen an. 

Von seinen Mitgliedern forderte er den Nachweis "arischer" Abstammung, als Vereinssymbol diente das Hakenkreuz. Die einzelnen Ortsvereine beschäftigten sich mit völkischen Rassentheorien und der Deutschtumsforschung und veranstalteten Sonnenwendfeiern sowie Jugendwanderungen. Einmal im Jahr wurde der "Deutsche Tag" einberufen. Er fungierte als eine Art Hauptversammlung des Bunds, der in der frühen Weimarer Republik die weitaus größte völkisch-antisemitische Organisation darstellte.

Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund erklärte in seinem Gründungsstatut das Kaiserbuch von Heinrich Claß, dem langjährigen Vorsitzenden des Alldeutschen Verbands, als theoretische Grundlage und praktisches Ziel seiner Politik. In diesem Buch, das als Antwort auf die Stimmengewinne der SPD bei den Reichstagswahlen von 1912 unter dem Titel "Wenn ich der Kaiser wär" erschienen war, kritisierte Claß ausführlich die Regierungspolitik hart und trat vehement für expansionistische, völkische und rassistische Ziele ein. Die enge Verbindung zu den Alldeutschen wurde auch darin verkörpert, daß Konstantin Freiherr von Gebsattel (1854-1932), lange Jahre Vorstandsmitglied des Alldeutschen Verbands, als mit diktatorischen Vollmachten ausgestatteter Vorsitzender fungierte. Die eigentliche Leitung oblag Alfred Roth (1879-1948), der schon die Geschicke des Reichshammerbunds lenkte.

Die Haupttätigkeit des Bunds bestand vor allem in revisionistischer Propaganda mit dem Ziel, die deutsche Kriegsniederlage und die Revolution von 1918/19 zu revidieren. Die Hauptstoßrichtung seiner Agitation richtete sich gegen bürgerliche und sozialdemokratische Vertreter der Weimarer Republik sowie gegen die jüdische Bevölkerung, die nun auch freien Zugang zu den höchsten Staatsämtern erhielt. Dies nutzten die Deutschvölkischen zur Propaganda die angebliche "jüdische Weltherrschaft", als deren wichtigstes Beweisstück sie die gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" zitierten, in denen angebliche Pläne jüdischer Kongresse zur Eroberung der Weltherrschaft protokolliert wurden. Mit einer hemmungslosen Hetze gegen demokratische und als "verjudet" geltende linke Politiker trug der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund maßgeblich zur Verbreitung rassistischen Gedankenguts in breiten Gesellschaftskreisen bei. Allein im Jahre 1920 wurden über 7 Millionen Flugblätter, fast 5 Millionen Handzettel und ca. 8 Millionen Klebemarken unter der Bevölkerung verteilt.

Der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund beteiligte sich auch maßgeblich an der Mordhetze gegen Matthias Erzberger, Philipp Scheidemann und Walther Rathenau. Deren Attentäter aus der rechtsextremen Organisation Consul unterhielten enge Kontakte zu dem Bund. Durch das nach der Ermordung von Reichsaußenminister Rathenau erlassene Republikschutzgesetz von 1922 wurde der Deutschvölkische Schutz- und Trutzbund in den meisten Ländern Deutschlands verboten. In Bayern existierten einzelne Ortsgruppen zwar bis 1924 weiter, aber es gelang den Führern um Gebsattel und Roth nicht, die Organisation reichsweit neu zu formieren. Zahlreiche Mitglieder, Hintermänner und Förderer wanderten in die NSDAP ab.

Führende Nationalsozialisten wie Gottfried Feder, Dietrich Eckart, Julius Streicher, Werner Best, Kurt Daluege und Fritz Sauckel (1894-1946) waren Mitglieder im Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund tätig. Der Bund war einer der geistigen Wegbereiter des Nationalsozialismus.

Johannes Leicht
25. Juni 2015

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