> Vormärz und Revolution

Der Deutsche Bund

Ein zentrales Ergebnis der Beratungen auf dem Wiener Kongress war neben vielen territorialen Veränderungen die neue staatsrechtliche Form Deutschlands, die in der Bundesakte vom 8. Juni 1815 verankert wurde. Der neu aus der Taufe gehobene Deutsche Bund bestand zunächst aus 35 souveränen Fürstentümern und vier Freien Städten. Österreich und Preußen gehörten ihm nur mit denjenigen Staatsgebieten an, die auch schon Bestandteil des 1806 aufgelösten Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gewesen waren. Unter Führung Österreichs entwickelte sich der Staatenbund zu einem Vollzugsorgan der Restauration zur Aufrechterhaltung der monarchischen Legitimität und Ordnung. In vielen deutschen Staaten wurden liberale, nationale und demokratische Ideen mit polizeilichen Mitteln bekämpft und die vielschichtig verzweigte politische Opposition mit ihren Forderungen nach Einheit und Freiheit durch eine restriktive Gesetzgebung unterdrückt.

Der Deutsche Bund besaß weder ein Staatsoberhaupt noch eine Regierung oder eine Volksvertretung. Einziges Bundesorgan war die aus weisungsgebundenen Gesandten der Mitgliedsstaaten bestehende Bundesversammlung in Frankfurt am Main unter dem Vorsitz Österreichs. Aufgrund des schleppenden Geschäftsganges der Bundesversammlung und seiner schwerfälligen Verfassungsstruktur entwickelte der Deutsche Bund zu keinem Zeitpunkt eine eigene Wirkung. Zu sehr stand er unter dem Einfluss von Österreich und Preußen, die ihre eigenen Interessen zu verwirklichen und gemeinsam den Status quo beizubehalten suchten. Dafür ließen die beiden Großmächte ihren machtpolitischen Dualismus weitgehend ruhen. Entsprechend der Maßgaben des österreichischen Staatsmannes Klemens Wenzel von Metternich passte sich der Deutsche Bund schon bald der restaurativen Politik Wiens an, indem er sich gegen die konstitutionellen Entwicklungen in den Einzelstaaten wandte.  

Im August 1819 einigten sich führende deutsche Staatsmänner auf einer Ministerialkonferenz im böhmischen Karlsbad auf schärfere Maßnahmen, um die von ihnen gefürchteten „revolutionären Umtriebe“ wirksamer bekämpfen zu können. Die Beschlüsse wurden am 20. September von der Bundesversammlung willfährig bestätigt und als Bundesgesetze in Kraft gesetzt. Zwar griffen diese „Karlsbader Beschlüsse“ tief in die Souveränitätsrechte der Bundesstaaten ein, die Umsetzung und Wirksamkeit von Bundesgesetzen in den Einzelstaaten waren jedoch während der gesamten Epoche nach 1815 höchst unterschiedlich: In den beiden verfassungslosen Vormächten Österreich und Preußen wurde die Ausführung mit sehr viel größerer Intensität betrieben als in den süddeutschen Verfassungsstaaten Württemberg, Bayern und Baden. In den meisten Kleinstaaten spielten die im fernen Frankfurt verabschiedeten Bundesgesetze ohnehin nur eine untergeordnete Rolle oder stießen auf keinerlei Interesse – zu weit war die Tätigkeit der Bundesversammlung von kleinstaatlicher Lebenswirklichkeit entfernt.  

Im politisch weitgehend wirkungslosen städtisch-liberalen Bürgertum breitete sich hingegen zunehmend Kritik an der österreichisch-preußischen Dominanz im Deutschen Bund aus, der Freiheitsrechte unterdrückte und die konstitutionelle Entwicklung hemmte. Die revolutionären Erschütterungen des Jahres 1830 schienen die Mahnungen führender liberaler Vordenker zu bestätigen, dass politische Stabilität auf Dauer nur durch Verabschiedung repräsentativer Verfassungen und durch eine angemessene politische Mitsprache von Männern mit Bildung und Besitz errungen werden könne. Insbesondere in Preußen mahnten Liberale, allein konstitutionelle Reformen verhinderten Revolutionen – womit aus bürgerlicher Sicht der angsteinflößende Aufstand unterer Volksschichten und die gewalttätige „Herrschaft des Pöbels“ gemeint waren.   Die Revolution von 1830 gab der einzelstaatlichen Verfassungsentwicklung und dem liberalen Freiheitsdrang neue Impulse – zugleich aber auch dem Repressionswillen konservativer Kräfte neue Nahrung. Schon kurz nach der Aufmerksamkeit erregenden Zusammenkunft von bis zu 30.000 Menschen auf der Hambacher Schlossruine 1832 erhöhte die Bundesversammlung die Interventionsmöglichkeiten des Bundes in innenpolitischen Angelegenheiten der Mitgliedsstaaten, und sie verbot politische Vereine, Versammlungen und nicht traditionsgebundene Volksfeste, politische Aufrufe sowie das Tragen politischer Abzeichen und Fahnen.  

Durch Intensivierung der politischen Unterdrückung ließen sich liberale und nationale Bestrebungen aber nicht beseitigen. Vielmehr radikalisierte sie vor allem Teile der Studentenschaft, die den ihnen verhassten Deutschen Bund durch einen allgemeinen Volksaufstand zu bekämpfen bereit waren. Das Signal dazu sollte am 3. April 1833 vom so genannten Frankfurter Wachensturm ausgehen, bei dem rund vier Dutzend Burschenschaftler Wachlokale der Frankfurter Stadtpolizei angriffen. Allerdings war der nur unzureichend vorbereitete und dilettantisch durchgeführte Aufstandsversuch bald beendet. Dem Deutschen Bund lieferte er dennoch den Anlass für weitere Unterdrückungsmaßnahmen und Verfolgungen. Die wegen ihrer Bezahlung im Volksmund verächtlich „Achtgroschenjungen“ genannten Polizeispitzel denunzierten insbesondere in Preußen erfolgreich tatsächlich oder vermeintlich revolutionär gesinnter Bürger. Doch die mit Zensur, Verhaftungen und Gefängnisstrafen erzielte Ruhe und Ordnung im obrigkeitsstaatlichen Sinne war nur oberflächlich und vorübergehend. Der im Februar 1848 aus Frankreich über den größten Teil des europäischen Kontinents hereinbrechenden revolutionären Eruption hatte der Deutsche Bund keine systemerhaltenden Mechanismen mehr entgegenzusetzen.

Zwar hob die Bundesversammlung angesichts der revoltierenden Massen die während des Vormärz ständig verschärften Repressionsmaßnahmen im März 1848 weitgehend auf. Dass der Frankfurter Gesandtenkongress als Symbol der alten monarchischen Ordnung in der revolutionär erhitzten Atmosphäre keine politisch mitgestaltende Kraft werden konnte, war spätestens nach dem Zusammentreten der Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche am 18. Mai 1848 und der Einsetzung einer provisorischen Reichsregierung augenscheinlich. Zu einer solchen Selbsteinschätzung gelangte auch die Bundesversammlung, die ihre Tätigkeit am 12. Juli 1848 für beendet erklärte. Erst nach dem Scheitern der Revolution von 1848/49 trat die Bundesversammlung am 2. September 1850 nach über zwei Jahren erstmals wieder zusammen, um den Deutschen Bund neu zu beleben.

Arnulf Scriba
15. September 2014

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