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Der schlesische Weberaufstand 1844

Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts unterlagen immer mehr Kleinproduzenten der Konkurrenz der effektiver und preiswerter produzierenden Fabriken. Aufgrund des sich ausdehnenden europaweiten Handels wurden ausländische Produkte auf dem heimischen Markt nicht nur kostengünstiger angeboten, sie waren oft auch von besserer Qualität als die in mühseliger Heimarbeit hergestellten Waren. Die wirtschaftlichen Veränderungen sprengten das soziale Gefüge der Gesellschaft, da die maschinell hergestellten Waren dauerhaft handwerkliche Strukturen und Einnahmequellen untergruben. Vom Wettbewerb mit der Maschinenproduktion am härtesten betroffen waren die Weber, die von ihren Verlegern immer weniger Geld für ihre handgewebten Produkte erhielten. Trotz gesteigerter Arbeitszeit oft bis zur sprichwörtlichen Erschöpfung und der Mitarbeit sämtlicher Angehöriger lebten insbesondere die schlesischen Weberfamilien in wachsender Armut. 

Da in der preußischen Provinz Schlesien die Bevölkerung von 1815 bis 1844 von rund 1,9 auf knapp 3 Millionen Menschen angewachsen war, hatte sich ein Überangebot an Arbeitskräften herausgebildet. Sinkendes Lohnniveau und steigende Lebensmittelpreise aufgrund von Missernten ließen nicht nur Elend und Verzweifelung gedeihen, sondern auch den Zorn der Weber auf Fabrikanten und Großhändler, die sie für die soziale Not verantwortlich machten. Vom 4. bis 6. Juni 1844 kam es in Peterswaldau und Langenbielau zu einer Revolte von Baumwollwebern, die im Vergleich zu den sehr viel verarmteren Leinenwebern zumeist noch besser gestellt waren: Zu Protest und Aufruhr neigt nicht, wer schon aller Hoffnung beraubt ganz unten ist, sondern wer seine Existenz bedroht sieht und Angst vor weiterem sozialen Abstieg hat.

Den weit über die Grenzen Preußens Aufsehen erregenden Weberaufstand ließ die Regierung mit elf Getöteten unverhältnismäßig blutig niederschlagen. Den politisch Verantwortlichen wie dem aufgeschreckten Bürgertum hatten die schlesischen Weber erstmals in Deutschland das Potential eines gewalttätigen Sozialprotestes vor Augen geführt. Das Medienecho war enorm, im ganzen Deutschen Bund wurde der unorganisierte Aufstand kontrovers diskutiert und verstärkt auf die Not der Weber und das Problem des Pauperismus hingewiesen. Heinrich Heine (1797-1856) veröffentlichte schon einen Monat nach der Niederschlagung des Aufstandes sein Gedicht „Die armen Weber“. Noch 50 Jahre später war das Thema vom Aufruhr verarmter Massen von so großer Brisanz, dass die Aufführung des Dramas „Die Weber“ von Gerhart Hauptmann 1892 vom Berliner Polizeipräsidenten verboten wurde. 

Arnulf Scriba
10. Oktober 2014

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