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Die preußischen Annexionen 1866

Unmittelbar vor Beginn des Deutschen Kriegs 1866 forderte Preußen die Österreich unterstützenden Königreiche Sachsen und Hannover sowie das Kurfürstentum Hessen vergeblich auf, sich auf preußische Seite zu stellen. Am 16. Juni 1866 marschierten daher preußische Truppen in die drei Staaten ein, um eine strategisch günstige Ausgangsposition zu beziehen. Nach Kriegsende verleibte sich das siegreiche Preußen die Territorien geschlagener Kriegsgegner ein und schloss damit die letzte Lücke eines zusammenhängenden preußischen Staatsgebietes zwischen der Memel und dem Rhein. Im Friedensvertrag von Prag vom 23. August 1866 musste Österreich der Neugestaltung Deutschlands durch die preußische Annexion des Königreichs Hannover, des Kurfürstentums Hessen, des Herzogtums Nassau, der Freien Stadt Frankfurt sowie der Herzogtümer Schleswig und Holstein zustimmen. 

 

Die Annexion der Freien Stadt Frankfurt

Nach Beginn des Deutschen Krieges marschierten Mitte Juni 1866 preußische Truppen in die Freie Stadt Frankfurt ein, die auf Seiten der von Österreich geführten Koalition stand. Der Bundestag hatte zuvor die Stadt verlassen und sich nach Augsburg zurückgezogen. Frankfurt litt stark unter der Härte der preußischen Besatzung. Zahlreiche Bürger, darunter alle Senatoren, wurden mit Einquartierungen preußischer Soldaten belegt. Die Stadt wurde zur sofortigen Kontributionszahlung von sechs Millionen Gulden verpflichtet, später folgten weitere Zahlungsverpflichtungen über 25 Millionen Gulden zur Versorgung der preußischen Armee. Zusätzlich mussten die Frankfurter Bürger ihre Pferde und die städtischen Schützenvereine ihre Waffen der preußischen Armee überlassen. Eine Besserung für die Stadt trat mit der Einsetzung einer preußischen Zivilverwaltung am 28. Juli und mit dem Aufschub der Kontributionsforderungen ein. Nach den im Prager Frieden festgeschriebenen Annexionen wurde die rund 98.000 Einwohner zählende Stadt Frankfurt im März 1867 in den Regierungsbezirk Wiesbaden der neuen preußischen Provinz Hessen-Nassau eingegliedert.

Die Annexion des Königreiches Hannover

Nachdem das Königreich Hannover dem österreichischen Antrag auf Mobilisierung des Bundesheers gegen Preußen 1866 zugestimmt hatte, forderte Preußen das Land ultimativ auf, im Deutschen Krieg eine unbewaffnete Neutralität zu wahren. Nach Ablehnung des Ultimatums erfolgte der Einmarsch preußischer Truppen, die am 17. Juni 1866 die Hauptstadt Hannover besetzten. Die hannoversche Armee zog sich nach Süden in Richtung Kissingen zurück, um sich mit verbündeten bayerischen Truppen zu vereinen. Am 27. Juni stießen die Kontrahenten bei der Schlacht von Langensalza aufeinander: Zwar konnten hannoverisch-bayerische Truppen die preußischen Verbände schlagen, nur zwei Tage später mussten sie aber aufgrund starker Erschöpfung, mangelnden Nachschubs und anhaltender preußischer Angriffe kapitulieren.
Die hannoversche Armee wurde im eigenen Land entwaffnet. König Georg V. (1819-1878) und der hannoversche Kronprinz erhielten außerhalb ihres Königreichs freie Wohnortwahl. Nach dem Prager Frieden versuchten die Hannoveraner vergeblich, sich gegen die Annexion durch Preußen zu wehren: 70.277 Bürger unterzeichneten eine Petition an den preußischen König Wilhelm I. mit der Forderung nach Unabhängigkeit des Königreichs Hannover. Aber alle öffentlichen Proteste des Welfenkönigs Georg V. blieben wirkungslos. Am 1. Oktober 1866 wurde im rund 1,9 Millionen Einwohner zählenden Staat Hannover die preußische Verfassung von 1850 oktroyiert und das Land als Provinz Hannover ins Königreich Preußen eingegliedert. 

Die Annexion des Kurfürstentums Hessen

Traditionell pflegte der Kasseler Hof enge Beziehungen nach Wien. Der auf Drängen Österreichs vom Bundestag 1866 beschlossenen Mobilmachung gegen Preußen schloss sich Kurfürst Friedrich Wilhelm I. (1802-1875) daher ohne Zögern an. Die kurhessischen Stände jedoch lehnten eine Kriegsbeteiligung auf österreichischer Seite entschieden ab. Als der Kurfürst am 16. Juni 1866 trotzdem die Mobilmachung befahl, marschierten preußische Truppen in Kurhessen ein, besetzten am 19. Juni die Hauptstadt Kassel und stellten den Kurfürsten unter Arrest. Die kurhessische Armee unterstellte sich am 20. Juni freiwillig der preußischen Main-Armee. Bis zu seiner Abdankung am 17. September 1866 blieb Friedrich Wilhelm I. in Stettin gefangen. Ein Jahr später wurde das rund 764.000 Einwohner zählende Kurhessen mit dem ebenfalls von Preußen annektierten Herzogtum Nassau und der Freien Stadt zur preußischen Provinz Hessen-Nassau zusammengefasst.

Vergeblich protestierten die Monarchen gegen die militärische Besetzung ihrer Länder sowie gegen die Annexionen. Frankreich und Russland verurteilten ebenfalls das maßgeblich vom preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck bestimmte Vorgehen, ohne es jedoch verhindern zu können. Selbst der preußische König Wilhelm I. lehnte zunächst die Annexionen und die Entmachtung der regierenden Dynastien ab. Erst nach langwierigen Diskussionen stimmte er den Annexionsplänen und damit einer direkten Verbindung der preußischen Ost- und Westprovinzen zu. Mit dem Sieg über Österreich 1866 und seinem nunmehr arrondierten Staatsterritorium stieg das Königreich Preußen zur Hegemonialmacht innerhalb der deutschen Staatenwelt auf.

Julian Plenefisch
14. September 2014

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