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Das "Fabrikproletariat"

Mit der Industrialisierung ab Mitte des 19. Jahrhunderts entstand in vielen deutschen Städten eine Industriearbeiterschaft. Besitzlose Landarbeiter, arbeitslose Handwerker und verarmte Kleinbauern strömten zu Zehntausenden in die darauf weitgehend unvorbereiteten Industriemetropolen. Dort prägten katastrophale Lebensbedingungen in feuchtkalten Kellerwohnungen oder kasernenartigen Arbeiterunterkünften, niedrige Löhne, miserable betriebliche Arbeitsbedingungen und lange Arbeitszeiten den Alltag des "Fabrikproletariats". Nur die Tätigkeit mehrerer Familienmitglieder, auch von Kindern, konnte das Existenzminimum sichern. Armut und soziale Not zwangen viele Menschen zum Betteln. Kündigung, Verletzung oder gar Tod des Ernährers waren existenzbedrohend für die ganze Familie. Da eine soziale Absicherung weder durch den Arbeitgeber noch durch den Staat erfolgte, blieb - auch für Angehörige des Bürgertums - der erniedrigende Gang zum Leihhaus oft der einzige Ausweg.

 

Viele Menschen in großen Städten wie Berlin, Leipzig und Dresden konnten sich nur Dank der Hilfe von Suppenküchen ernähren, die von kirchlichen Organisationen oder sozialen Stiftungen betrieben wurden. Ausgeteilt wurden zumeist verschiedene Gerichte aus Kartoffeln, Rindfleisch, Bohnen, Weißkohl, Erbsen, Linsen, Graupen und Rüben. Der Fortschritt erreichte die wachsende Zahl der Arbeiter nur langsam und partiell. Unternehmer versuchten, die Verantwortung für deren Lebensstandard von sich zu schieben und priesen als Möglichkeit der Lohnsteigerung die Akkordarbeit: Diese sollte dem fleißigen und tüchtigen Arbeiter erlauben, sich einen höheren Lohn durch mehr Leistung zu erarbeiten. Zumeist war der Akkord bewusst sehr hoch angesetzt und für den Arbeiter kaum zu schaffen. Deutsche Unternehmer wussten, dass sie mit ihren Produkten häufig nur wegen der niedrigen Preise auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig waren - und diese Preise konnten nur aufgrund der niedrigen Löhne erzielt werden.

Möglichkeiten auf Änderung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen waren für die einzelnen Fabrikarbeiter gering. Die Philosophen und Nationalökonomen Karl Marx und Friedrich Engels forderten in ihrem 1848 veröffentlichten "Kommunistischen Manifest" die Arbeiter daher auf: "Proletarier aller Länder, vereinigt euch!" Aus den Handwerkerbünden, Hilfs- und Gesellenvereinen entstand in den 1860er Jahren unter dem Einfluss von Ferdinand Lassalle, August Bebel und Wilhelm Liebknecht die deutsche Arbeiterbewegung.

Dorlis Blume
6. September 2014

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