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Kartoffelversorgung

In den ersten Jahren des Ersten Weltkriegs war die Kartoffel das Hauptnahrungsmittel der deutschen Bevölkerung. Durch die früh einsetzende Rationierung von Getreideprodukten und das fast völlig fehlende Angebot an Fleisch- und Wurstwaren war der Kartoffelverbrauch Anfang des Jahres 1916 auf das zweieinhalbfache des Vorkriegsniveaus gestiegen. Im Frühjahr 1916 waren die Vorräte der letzten Ernte fast vollständig aufgebraucht. Die Reichskartoffelstelle setzte als Richtwert für den Bedarf eines erwachsenen Menschen ein Pfund pro Tag an, überließ die Organisation der Versorgung aber weiter den Kommunalverbänden. Diese gaben zwar Bezugsscheine für Kartoffeln aus, doch die Verbraucher in den Städten mussten sich die Kartoffeln bei den Landwirten des jeweiligen Kreises selbst besorgen, was bei dem damaligen Grad der Mobilität und den meist völlig fehlenden Transportmitteln nahezu unmöglich war.

Im Juni 1916 wurde die Verfütterung von Kartoffeln verboten, im Oktober folgten angesichts der schlechten Ernte - die Erträge lagen nur bei rund 50 Prozent der Vorjahrs - weitere Maßnahmen in der Zwangsbewirtschaftung. Im Januar 1917 wurde die Kartoffelration auf täglich drei Viertel Pfund, in einigen Städten sogar auf drei Pfund wöchentlich gesenkt, ohne dass selbst die Auslieferung dieser Menge garantiert werden konnte. Rüben nahmen statt dessen die Stelle der Kartoffel als wichtigstes Nahrungsmittel ein. Schon ab Januar 1917 wurden für diese Früchte, die ursprünglich lediglich als Viehfutter vorgesehen waren, Bezugskarten und -marken ausgegeben. Im Winter 1916/1917 wurde die alltägliche Beschaffung der zum nackten Überleben notwendigen Nahrungsmittel für tausende Menschen in Deutschland zu einem unlösbaren Problem. Hunderttausende Menschen starben an Hunger oder den Folgen von Unterernährung, viele davon im "Kohlrübenwinter" 1916/17.

Für das Wirtschaftsjahr 1917/18 errechnete die Reichskartoffelstelle einen Bedarf von 34 Millionen Tonnen Kartoffeln. Die nach den Angaben der Bauern und Landwirte ermittelte Ernteprognose lag jedoch nur bei 24 Millionen. Eine Überprüfung der Angaben ergab, dass trotz permanenter patriotischer Appelle und der Androhung harter Strafen viele Produzenten falsche Zahlen angegeben oder Vorräte verheimlicht hatten. Obwohl durch die Kontrollen der staatlichen Behörden noch erhebliche Reserven erschlossen werden konnten, musste von einer Fehlmenge von 6 Millionen Tonnen Kartoffeln bis zur nächsten Ernte ausgegangen werden. Der von der Reichskartoffelstelle errechnete Mindestbedarf der Bevölkerung an Kartoffeln konnte im vierten Kriegsjahr nur zu rund 80 Prozent gedeckt werden.

Andreas Michaelis
14. September 2014

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