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Die Lebensmittelrationierung

Der erhöhte und vorrangige Bedarf des Heeres an der Front, der Wegfall von Importen infolge der Unterbrechung traditioneller Handelsbeziehungen - u.a. durch die britische Seeblockade - sowie die gravierenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Grundstrukturen der Agrarproduktion durch Rekrutierung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte und Beschlagnahme von Zugtieren für das Heer führten in Deutschland bereits im ersten Kriegsjahr 1914 zu Störungen bei der Lebensmittelversorgung der Stadtbevölkerung und zu "Hamsterkäufen", die man durch staatliche Eingriffe zu regulieren hoffte. Über die Festlegung von Höchstpreisen für Brot und Getreide bis hin zur Zuteilung einzelner Eier entstand im Laufe des Kriegs ein umfassendes System der Zwangsbewirtschaftung von Lebensmitteln, das Schritt für Schritt ausgebaut wurde und am Ende selbst Ersatzstoffe einschloss.

Im Februar 1915 wurden in zahlreichen Städten die ersten Brotkarten ausgegeben. Die Festlegung der Rationen oblag den kommunalen Behörden. Berlin begann die Bewirtschaftung mit Wochenrationen von 2 Kilogramm Brot oder 225 Gramm Mehl pro Tag und Kopf. In Aachen erhielten die erwachsenen Bürger vierzehntägig 3000 Gramm Brot und 550 Gramm Mehl oder Zwieback. Im November 1915 wurden gesetzliche Maßnahmen zur Rationierung der Milchversorgung erlassen, im Frühjahr 1916 setzte die Kartoffelbewirtschaftung ein. Im Laufe des Jahres 1916 wurden für das ganze Reich gesetzliche Richtlinien für die Bewirtschaftung von Fleisch- und Wurstwaren erlassen. Im "Kohlrübenwinter" 1916/17 konnte selbst der errechnete Mindestbedarf an Grundnahrungsmitteln für die Bevölkerung nicht gedeckt werden, die allgemeine Lebensmittelknappheit schlug in eine regelrechte Hungersnot um. Das konnte auch durch die Ausgabe von Zusatzkarten für bestimmte Bevölkerungs- und Berufsgruppen nicht kompensiert werden.

Die Maßnahmen der Regierung zur Rationierung von Lebensmitteln waren von dem Bestreben diktiert, der Masse der Bevölkerung ein Mindestmaß an Grundnahrungsmitteln zu garantieren, um Kriegswilligkeit und Siegeszuversicht zu erhalten. Sie stellten jedoch meist nur eine Reaktion auf die gegebene Marktsituation dar. Oft wurden den Bürgern Lebensmittel zugewiesen, die gar nicht vorhanden waren; viele ausgegebene Lebensmittelkarten blieben Makulatur. Trotz aller kriegs- und gesellschaftsbedingten Unzulänglichkeiten ermöglichten jedoch die staatlichen Rationierungsmaßnahmen während des Kriegs und in der unmittelbaren Nachkriegszeit Millionen Menschen das Überleben.

Andreas Michaelis
15. September 2014

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