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Die Durchbruchsschlacht von Gorlice-Tarnów 1915

Die enormen Verluste des österreichisch-ungarischen Verbündeten im Frühjahr 1915 in den Karpaten veranlasste die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL), auch im Südabschnitt der Ostfront die strategische Planung für die Truppen der Mittelmächte an sich zu ziehen und eine große Offensive vorzubereiten. Mit militärischen Erfolgen sollte Österreich-Ungarn gestützt werden. Für einen konzentrierten Vorstoß bei Gorlice-Tarnów wurden die deutsche 11. und die österreich-ungarische 4. Armee unter dem Befehl von Generaloberst August von Mackensen zusammengefasst. Zur Verstärkung wurden weitere Truppen von der Westfront abgezogen. Die Mittelmächte waren damit den russischen Verbänden deutlich überlegen.

Am 1. Mai 1915 begann nach mehrstündigem Artilleriefeuer der Angriff. Auf 16 Kilometern Breite gelang den deutschen und österreich-ungarischen Truppen ein Vorstoß von 4 Kilometern Tiefe durch die russischen Stellungen. Nach drei Tagen erreichte die vorrückende Infanterie das befestigte Verteidigungssystem der Russen und zwang sie zu einem Rückzug auf breiter Front. Dieser erste große strategische Durchbruch gegen ein befestigtes Grabensystem im Ersten Weltkrieg ermöglichte den Mittelmächten in den folgenden Wochen, die russische Linie etwa 100 Kilometer zurückzuwerfen und am 22. Juni 1915 Lemberg (heute: Lwiw, Ukraine) zu erobern. 

Die sich weit in das Landesinnere zurückziehende russische Armee wandte nach dem Vorbild der napoleonischen Kriege die „Taktik der verbrannten Erde“ an, dabei musste die Zivilbevölkerung besonders leiden. Da der Rückzug völlig ungeordnet und ungeplant ablief, wurden willkürlich Gebäude und Brücken zerstört, Tiere getötet und Nahrungsvorräte vernichtet. Jüdische Dörfer wurden auffällig häufig geplündert. Es empörte die schlecht versorgten und schlecht ausgerüsteten russischen Soldaten, wenn sie auf Munitions- und Nahrungsmittellager stießen, die andere Einheiten vor ihnen unbrauchbar gemacht hatten.

Seit dem Winter 1914/15 war der Material- und Nahrungsmittelmangel in der russischen Armee offensichtlich geworden. Ganze Bataillone mussten ohne Gewehr ausgebildet werden. An der Front gaben die Offiziere die Anweisung, sich auf zehn Schuss am Tag zu beschränken, da nicht mehr Munition vorhanden war. Die katastrophale Planung und Organisation, gepaart mit der menschenverachtenden Kälte der obersten Befehlshaber gegenüber den Problemen der Soldaten und den Menschenverlusten, erschütterte die Loyalität der Russen für den Zaren und seine Regierung. Als der Vormarsch der Mittelmächte 1915 in der Tiefe des russischen Raumes „im Schlamm“ stecken blieb, war die russische Armee auf ein Drittel ihrer Stärke zu Beginn des Krieges geschrumpft. Nicht nur in der Armee, auch in den Familien der Soldaten machte sich die Überzeugung breit, dass die Regierung völlig versagt hatte. Doch noch waren die Soldaten bereit, für ihren Zaren zu sterben. Das sollte sich in den nächsten zwei Jahren grundlegend ändern.

Juliane Haubold-Stolle
18. September 2015

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