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Der Luftkrieg

Am Beginn des 20. Jahrhunderts durchlief das Flugzeug eine rasante technische Entwicklung. Jeder Fortschritt, jede neue Entwicklung, jeder bahnbrechende Flugzeugtyp wurde vom technikbegeisterten internationalen Publikum in ganz Europa und Nordamerika bejubelt. Zwischen dem ersten Motorflug über wenige Sekunden im Jahr 1903 bis zur ersten 16-stündigen Atlantiküberquerung 1919 liegen nicht einmal zwei Jahrzehnte. Diesen Prozess hat der Erste Weltkrieg entscheidend beschleunigt. 

Am Anfang des Ersten Weltkrieges war das Flugzeug in erster Linie ein Aufklärungsmittel der militärischen Führungen. An einen Einsatz als Angriffsmittel wurde nämlich zunächst nicht gedacht. Die Besatzungen verfügten zwar als Abwurfmittel über kleinere Bomben, die nicht schwerer als fünf oder zehn Kilogramm waren und ohne jede Zielvorrichtung freihändig abgeworfen nur wenig Wirkung zeigten. Als geeignetes Luftfahrzeug zur Durchführung von Bombardierungen aber galt bis in die Mitte des Krieges das Luftschiff. Luftschiffe hatten einfache Zielgeräte, mit denen der Bombenabwurf nach und nach optimiert werden konnte.

Als der Krieg begann, war es aber noch ein weiter Weg zum Luftkrieg. Sehr viele Piloten kannten sich von internationalen Flugveranstaltungen und waren mehr an den Maschinen der gegnerischen Seite interessiert, als daran, sich gegenseitig abzuschießen. Die ersten Luftkämpfe wurden improvisiert mit Pistolen ausgetragen. Erst als es gelang, mit Maschinengewehren synchronisiert durch den eigenen Propellerkreis zu feuern, begann die Geschichte des Jagdflugzeuges, das nicht nur Ballons, Zeppeline, Aufklärungs- und Bombenflugzeuge abschießen, sondern auch den Kampf gegen andere Jagdflugzeuge aufnehmen konnte. Die deutschen Jagdflieger blieben lange Zeit den alliierten Fliegern technisch und taktisch überlegen. Sie hatten modernere Flugzeuge und waren auch besser organisiert. Ihr Flugzeugbau war eng mit dem Namen des niederländischen Konstrukteurs Anton Fokker verbunden, der im Auftrag der deutschen Rüstungsindustrie arbeitete. Ab 1916 gingen beide Kriegsgegner vom Einzelflug zum Luftkampf in bestimmten Gruppenformationen über, es entstanden feste Fliegerstaffeln. Die erfolgreichen Jagdflieger wurden zu gefeierten Kriegshelden, auf deutscher Seite vor allem die "Fliegerasse" Oswald Boelcke (1891-1916), Max Immelmann, Ernst Udet und besonders Manfred Freiherr von Richthofen, der als "Roter Baron" berühmt wurde. Im Sommer 1917 erreichten die Alliierten durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit endgültig die Luftherrschaft.

Flugzeuge griffen auch zunehmend direkt in die Kämpfe an der Front zur Unterstützung der Infanterie ein, indem sie mit gezieltem Beschuss die Besatzungen von Schützengräben in Deckung zwangen oder Artilleristen vom Abfeuern der Geschütze abhielten. 1917 waren englische und deutsche Flieger in der Lage, mit Langstreckenflugzeugen den strategischen Bombenkrieg zu beginnen. Deutsche Bomber suchten mehrfach englische Städte heim. Dabei wurden viele Zivilisten getötet und Produktionsausfälle der Industrie verursacht. Die deutsche Kriegführung setzte große Hoffnungen auf die Zeppeline, die als Antwort auf die britische Blockade vor allem über England eingesetzt wurden. Bis zum Frühjahr 1917 bombardierten Heer und Marine gemeinsam Areale im Großraum London, in Mittelengland und in Schottland. Wohngebiete waren dabei noch keine ausgesprochenen Angriffsziele, wurden aber getroffen. Es gab mehr als 500 Tote. Die Bombardierung von Bauwerken und Schlössern der königlichen Familie aber war auf kaiserlichen Befehl zunächst ausdrücklich verboten worden. Der militärische Effekt der Angriffe lag in der Bindung von Abwehrkräften, die somit an der Front fehlten, und vor allem in der Unterbrechung der Kriegsproduktion während der vielen Alarme. Diese Bombardierungen konfrontierten zum ersten Mal große Teile der Zivilbevölkerung direkt mit Kampfhandlungen und nahmen darin Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs vorweg. Erstmals kamen Tod und Zerstörung aus heiterem Himmel, fernab von Kriegshandlungen. Erst im letzten Kriegsjahr konnte die verbesserte britische Abwehr mit Jagdflugzeugen die Angriffe abwehren und Deutschland endgültig zur Einstellung des Zeppelinkrieges zwingen.

1914 hatte allein die deutsche Fliegertruppe aus etwa 4.000 Mann mit 300 Flugzeugen bestanden. 1918 war sie  auf rund 80.000 Mann mit 5.000 Flugzeugen angewachsen. Etwa 12.000 von ihnen wurden getötet oder verwundet.  4.578 Flieger und 299 Mann vom Bodenpersonal waren gefallen,  dazu weitere fast 2.000 Mann in der Heimat bei Unfällen und Versuchsflügen tödlich verunglückt.

Am Ende des Ersten Weltkrieges waren mit Jagd-, Bomben-, Aufklärungs-, Infanterie- und Transportflugzeugen sämtliche militärisch nutzbare Flugzeugtypen erprobt worden. Dazu gehörten auch theoretische Überlegungen in taktischer und strategischer Hinsicht. Dennoch blieb die Bedeutung für die Kriegshandlungen bis 1918 insgesamt relativ gering. Erst zu Beginn des Zweiten Weltkrieges sollte sich das zerstörerische Potential der Luftstreitkräfte, ihre verheerende Wirkung auf die Zivilbevölkerung und die entscheidende Rolle in der Kriegführung erweisen.

Sven Lüken
1. September 2014

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