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Die Technisierung der Landwirtschaft

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verlor die Landwirtschaft allmählich ihre wirtschaftliche Vorrangstellung an die wachsende Industrie. Dennoch verdoppelte sich im letzten Drittel des Jahrhunderts nahezu die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland. Neue Düngemittel wie das um 1830 entdeckte Chilesalpeter, dessen Verbrauch zwischen 1870 und 1900 von 66.000 auf 484.000 Tonnen stieg, sowie verbesserte Saatzucht, Bodenbearbeitung und Stallfütterungsmethoden erhöhten die Produktivität und verringerten die Gefahr von Hungerkatastrophen wegen Missernten und Mangel. Von 1873 bis 1913 stieg die jährliche Getreideernte um mehr als die Hälfte, von rund 16 auf 25 Millionen Tonnen.

Die Viehwirtschaft war aufgrund steigender Reallöhne und damit eines veränderten Konsumverhaltens der Bevölkerung von einem starken Anstieg der Schweinehaltung gekennzeichnet: Die Zahl in Deutschland gehaltener Schweine stieg von 1870 bis 1913 von rund 7 auf 25 Millionen Stück. Im selben Zeitraum nahm die Zahl der Schafe von rund 26 auf 6 Millionen ab, da Schaffleisch - anders als in England - nicht zur bevorzugten Nahrung in Deutschland gehörte. Vor allem entwickelte sich der Wollmarkt mit dem verstärkten Aufkommen von Baumwollwaren und ausländischer Konkurrenz aus Übersee negativ für die Schafzüchter in Deutschland.

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts zogen Maschinen in die ländliche Arbeitswelt ein. Mit den Lokomobilen, den beweglichen Dampfmaschinen, begann zumindest in Großbetrieben die Industrialisierung des agrarischen Sektors. Die fest mit dem Dampfkessel verbundene Maschine ruhte auf einem Fahrgestell, und die Übertragung der von ihr erzeugten Energie erfolgte über einen auf die Schwungradwelle geworfenen Treibriemen. Dieser setzte eine Dreschmaschine in Gang und betrieb nach Bedarf auch eine Häcksel-, Schrot- oder Futterschneidemaschine oder einen Grubber, einen Spezialpflug zum Auflockern des Bodens. Der Einsatz der Dampfkraft setzte viele Landarbeiter frei; sie zogen zumeist in die rasant wachsenden Industriegebiete, wo in Fabriken und im Bergbau zumeist höhere Löhne als auf dem Land verdient werden konnten.

Arnulf Scriba
11. November 2015

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