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Liberale Reichspartei 1871-1874

Nach der Reichstagswahl am 3. März 1871 konstituierten sich insgesamt 30 Reichstagsabgeordnete als Fraktion der Liberalen Reichspartei. Die liberal-konservative Partei verstand sich als parlamentarische Mittelpartei und wollte zunächst den Namen "Deutsche Reichspartei" annehmen, der jedoch von den Freikonservativen nach der Reichstagseröffnung bereits aufgegriffen worden war. 

Mit den Freikonservativen gab es nicht nur namentliche Übereinstimmungen, auch inhaltlich existierten zwischen ihnen viele Berührungspunkte: Nach der Reichsgründung unterstützten beide uneingeschränkt die Politik Otto von Bismarcks und suchten die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen und den Konservativen. Darüber hinaus lehnten sie die von den Linksliberalen und Sozialdemokraten geforderte Parlamentarisierung der konstitutionellen Monarchie des Kaiserreichs ab. Beide Parteien verfügten über nahezu keine Parteiorganisation und waren reine Honoratiorenparteien: Fast die Hälfte der Abgeordneten der Liberalen Reichspartei kamen aus adligen Familien. Den Fraktionsvorsitz der liberalen Reichspartei hatte der frühere bayerische Ministerpräsident und spätere Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst inne.

Programmatisch forderte die Liberale Reichspartei die Durchsetzung der Presse- und Vereinsfreiheit sowie eine endgültige Klärung des Verhältnisses von Staat und Kirche. Unter anderem unterstützte sie maßgeblich den am 3. April 1873 im Reichstag verabschiedeten Antrag der nationalliberalen Abgeordneten Johannes Miquel (1828-1901) und Eduard Lasker (1829-1884), durch Änderung der Reichsverfassung das gesamte bürgerliche Recht, das Strafrecht und das gerichtliche Verfahren in die Kompetenz der Reichsgesetzgebung zu übergeben: Die "Lex Miquel-Lasker" bereitete maßgeblich den Weg für die Einführung des am 1. Januar 1900 in Kraft getretenen Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).

Die Liberale Reichspartei verschwand ebenso unvermittelt von der politischen Bildfläche, wie sie entstanden war. Ohne jegliche Ansätze eines zentralen Parteiapparats wurden viele parlamentarische Abläufe über ihren Vorsitzenden Hohenlohe-Schillingfürst geregelt. Als dieser im Februar 1874 als Botschafter in die französische Hauptstadt Paris abberufen wurde, brach die Parteiorganisation nahezu zusammen. Die Reichstagswahl am 10. Januar 1874 geriet darauf hin zur Katastrophe für die Partei: Von 30 Abgeordneten wurden nur drei wieder gewählt. Zwei von ihnen schlossen sich der Freikonservativen Reichspartei an, einer den Nationalliberalen. Mit der Auflösung der Reichstagsfraktion stellte auch die Liberale Reichspartei 1874 ihre Arbeit ein.

Johannes Leicht / Rosmarie Beyer de Haan / Arnulf Scriba
8. September 2016

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