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Der Deutsch-Französische Krieg 1870/71

Nach dem preußischen Sieg über Österreich 1866 betrachtete Frankreich die zunehmende Machtballung Preußens in Deutschland mit Sorge und bangte um seine Vormachtstellung auf dem europäischen Kontinent. Otto von Bismarck, der Kanzler des Norddeutschen Bundes, war überzeugt, dass sich ein militärischer Konflikt mit Frankreich auf Dauer nicht vermeiden lassen werde. Er sah in einem Krieg das geeignete Mittel, die nationale Einigung Deutschlands unter Führung Preußens durch "Eisen und Blut" zu vollenden. Da sich die süddeutschen Staaten zur Waffenbrüderschaft mit Preußen verpflichtet hatten, sollten sie in einem gemeinsam gegen Frankreich geführten Krieg auch politisch in das neu zu gründende Reich eingebunden werden.

 

Anlass zum Krieg bot die Kandidatur des Erbprinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen (1835-1905), einer katholischen Nebenlinie der Hohenzollern, um die vakante spanische Krone im Juli 1870. Preußen erkannte für sich machtpolitische Vorteile durch Inthronisierung eines Hohenzollern in Spanien, Frankreich musste sich dagegen an seiner Südwest-Flanke bedroht fühlen. Obwohl Prinz Leopold aufgrund französischer Proteste seinen Anspruch am 12. Juli 1870 zurück zog, brüskierte Bismarck den französischen Kaiser Napoleon III. mit der provozierenden "Emser Depesche" vom 13. Juli so stark, dass sich dieser - auch durch innenpolitischen Druck getrieben - am 19. Juli 1870 zur Kriegserklärung gegen Preußen veranlasst sah.

In Deutschland schlug die patriotische Begeisterung ähnlich hohe Wellen wie in den Befreiungskriegen gegen Napoleon I. (1769-1821). Entgegen den französischen Erwartungen zögerten die süddeutschen Staaten nicht, sich an die Seite des Norddeutschen Bunds unter preußischer Führung zu stellen. Bayern, Württemberg, Baden und Hessen hatten nach dem Deutschen Krieg von 1866 geheime "Schutz-und-Trutz-Bündnisse" mit Preußen abgeschlossen. Sie unterstellten ihre Armeen 1870 dem preußischen Oberbefehl. Die Nachbarstaaten Deutschlands blieben neutral.

Der deutsche Aufmarsch im Westen erfolgte mit Hilfe der Eisenbahn zügig. Die vereinigten deutschen Armeen umfassten schon bald rund 519.000 Soldaten. Das französische Berufsheer verfügte über 336.000 Mann. Im Verlaufe des Krieges wuchsen beide Heere über die Millionengrenze. Der Charakter der Kriegführung hatte sich im 19. Jahrhundert grundlegend geändert und trat mit dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 endgültig in das Zeitalter des industrialisierten Volkskriegs ein. Nun standen sich Heere von mehreren hunderttausend Mann gegenüber. Der Einsatz von Eisenbahnen, Industrie und moderner Waffentechnik wie weitreichender Artillerie bestimmte den Verlauf der Feldzüge. Kopf der deutschen Kriegführung war der Chef des preußischen Generalstabs, Helmuth Graf von Moltke (1800-1891). Unter seiner strategischen Leitung verlief die deutsche Offensive ab August 1870 erfolgreich.

Nach Erfolgen bei Weißenburg und Wörth sowie der Erstürmung der Spicherer Höhen gelang der deutschen II. Armee unter Prinz Friedrich Karl von Preußen (1828-1885) am 16. August 1870 bei Vionville der Sieg in der ersten großen Entscheidungsschlacht des Kriegs. Zwei Tage später erfolgte bei Gravelotte die größte Schlacht des gesamten Kriegs. Die von der deutschen I. und II. Armee geschlagene französische Rheinarmee unter Marschall François Achille Bazaine (1811-1888) musste sich anschließend auf die Festung Metz zurück ziehen. Ein Entsatzversuch unter Marschall Edme Patrice Maurice de Mac-Mahon (1808-1893) endete für die französischen Truppen in einer katastrophalen, kriegsentscheidenden Niederlage bei Sedan am 2. September 1870. Beim triumphalen Sieg der deutschen III. Armee unter Kronprinz Friedrich von Preußen und der neu zusammen gestellten Maasarmee unter Kronprinz Albert von Sachsen (1828-1902) geriet auch Napoleon III. in deutsche Gefangenschaft. Er war per Eisenbahn zu den französischen Truppen geeilt, um deren Moral nach den schweren Verlusten bei Vionville und Gravelotte aufzurichten. Als Kriegsgefangener wurde Napoleon III. nach Wilhelmshöhe bei Kassel gebracht und musste später ins englische Exil gehen.

Nach der Gefangennahme Napoleons III. wurde am 4. September 1870 in Frankreich die Monarchie gestürzt und durch eine republikanische "Regierung der nationalen Verteidigung" ersetzt. Deren führende Köpfe Jules Favre (1809-1880) und Léon Gambetta (1838-1882) proklamierten einen Volkskrieg und setzten den Kampf gegen die seit dem 13. September 1870 Paris belagernden deutschen Truppen fort. In den französischen Provinzen entwickelte sich ein zäher Kampf mit eilig aufgestellten republikanischen Armeen. Die Niederlage Frankreichs konnten sie aber nicht verhindern: Am 27. Oktober 1870 ergab sich die französische Rheinarmee in Metz, rund 170.000 Soldaten gerieten in Gefangenschaft. Paris kapitulierte nach schwerem Beschuss am 28. Januar 1871, noch am selben Tag wurde ein Waffenstillstand unterzeichnet. Das endgültige Ende des französischen Widerstands markierte der Übertritt bedrängter republikanischer Divisionen in die Schweiz am 1. Februar 1871 und deren Entwaffnung durch schweizerische Verbände.

Im Frieden von Frankfurt vom 10. Mai 1871 musste Frankreich das Elsass und Teile von Lothringen an Deutschland abtreten und eine Kriegsentschädigung von fünf Milliarden Franc zahlen. Für Frankreich bedeuteten die deutschen Annexionen eine tiefe Demütigung und machte die Zurückerlangung dieser Gebiete zu einem zentralen Ziel französischer Außenpolitik bis zum Ersten Weltkrieg. Auf deutscher Seite war das zentrale Ergebnis des Kriegs die von vielen Deutschen lang ersehnte Reichsgründung. Schon seit September 1870 hatte Bismarck Verhandlungen mit den süddeutschen Staaten über einen Beitritt zum Norddeutschen Bund geführt. Am 18. Januar 1871 erfolgte im Spiegelsaal von Versailles die Kaiserproklamation Wilhelms I.

Steffen Hennicke
14. September 2014

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