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    Sammelwagen für Kleider- und Lebensmittelspenden, um 1934

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Das Winterhilfswerk (WHW)

Das Winterhilfswerk (WHW) sollte als Nothilfeaktion schnell sichtbare Erfolge bei der Bekämpfung der Folgen von Arbeitslosigkeit und Armut vorweisen. Nach seiner Gründung im September 1933 nahm es als Organisation und im Spendenaufkommen schnell gewaltige Ausmaße an. Durch die während der Wintermonate angeordneten und in der NS-Propaganda breit dargestellten Haus- und Straßensammlungen sowie nicht zuletzt durch seinen Abzeichenverkauf wurde das WHW zu einer der bekanntesten und den Alltag bestimmenden Erscheinungen im NS-Regime. Etwa 8.000 verschiedene Abzeichen in Millionenauflage wurden von Oktober 1933 bis März 1943 in unterschiedlichsten Ausführungen und Materialien zu den monatlichen Sammlungen und lokalen Anlässen herausgegeben. Das der Aufsicht des Propagandaministeriums unterstehende WHW erreichte jedoch weitaus höhere Einnahmen durch Sach-, Steuer- und Geldspenden, die von Einzelpersonen, Firmen oder Verbänden geleistet wurden. Eintopfsonntage, Lotterien und Kulturveranstaltungen, die vom Deutschen Roten Kreuz, der Wehrmacht und anderen Organisationen durchgeführt wurden, komplementierten die von der NSDAP angestrebte Mobilisierung der Volksgemeinschaft durch das WHW. 

 

Das Versprechen der NS-Machtinhaber nach einer egalitären Solidargemeinschaft sowie nach Teilhabe aller Bevölkerungsschichten an sozialpolitischen Maßnahmen waren 1933/34 der Bindungskräfte des Regimes, die dazu beitragen sollten, den Traum vieler Deutscher von der Überwindung gesellschaftlicher Zerrissenheit sowie vom nationalen Erstarken Wirklichkeit werden zu lassen. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung begrüßte das NS-Regime daher freudig oder arrangierte sich zumindest schnell mit den neuen Verhältnissen. Zu den populären Maßnahmen der Nationalspzialisten gehörten neben der von der Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) angebotenen Reisen und Kulturveranstaltungen die wohlfahrtsstaatlichen Angebote des WHW mit seinen Sammel- und Spendenaktionen sowie den öffentlichkeitswirksamen Eintopfsonntagen. 

Am 1. Oktober 1933 fand der erste so genannte Eintopfsonntag im Deutschen Reich statt. Während des NS-Regimes wiederholte er sich jeweils an einem Sonntag der Monate Oktober bis März. Die Bevölkerung und die Restaurants waren auf Anordnung der Reichsregierung verpflichtet, nur einfache Eintopfgerichte zu verzehren oder anzubieten, deren Preis pro Kopf eine halbe Reichsmark nicht überschreiten sollte. Der Differenzbetrag zum höheren Preis einer gewohnten Sonntagsmahlzeit sollte dem WHW gespendet werden. Mitarbeiter der NS-Volkswohlfahrt (NSV) nahmen die Spenden in den Haushalten entgegen, die zu verweigern sich kaum jemand getraute. Die Haussammlung erbrachte im Winter 1935/36 über 31 Millionen Reichsmark. Allein in Berlin sammelten im Oktober 1935 rund 75.000 Helfer 375.000 Reichsmark für das WHW.

 

An den "Eintopfsonntagen" veranstaltete die NSV in größeren Städten Gemeinschaftsessen auf öffentlichen Plätzen. Diese dienten nicht allein dazu, ärmeren Bevölkerungsschichten zu einer billigen warmen Mahlzeit zu verhelfen. Zugegen waren auch stets Repräsentanten der NSDAP, um die Bedeutung der "Eintopfsonntage" zu unterstreichen. Die solidarische Volksgemeinschaft sollte im Sinne eines "Sozialismus der Tat" gefördert werden. Auch Adolf Hitler nutzte die Volkstümlichkeit der Hausmannskost, um durch sein öffentliches Eintopfessen eine scheinbare Gleichsetzung von "Volk und Führer" zu demonstrieren.

Dienten die Einnahmen in den ersten Jahren noch der Linderung der Not von Arbeits- und Obdachlosen, so schufen sie ab 1936/37 die finanzielle Basis der NS-Volkswohlfahrt, mit der das WHW organisatorisch und personell eng verflochten war. Während des Zweiten Weltkriegs wurden die Sammelaktionen des umbenannten Kriegswinterhilfswerks unvermindert fortgesetzt. Der Appell an die Opferbereitschaft erschöpfte sich in den letzten Kriegsjahren jedoch immer mehr; zu viele Spender waren selbst bedürftig geworden.

Arnulf Scriba
16. September 2015

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