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Volksentscheide

Die Weimarer Reichsverfassung ermöglichte erstmals in der deutschen Geschichte eine direkte Einflussnahme der Wähler auf die Gesetzgebung. Nach Artikel 73 war ein Volksentscheid herbeizuführen, wenn in einem Volksbegehren ein Zehntel der Stimmberechtigten nach Vorlegung eines Gesetzentwurfs dafür votierten. Für die Annahme des Gesetzentwurfs war bei dem Volksentscheid die Beteiligung von 50 Prozent aller Stimmberechtigten erforderlich (Artikel 75). Trug der Gesetzentwurf verfassungsändernden Charakter war die Zustimmung von 50 Prozent aller Stimmberechtigten notwendig (Artikel 76).

Auf Reichsebene gab es in der Weimarer Republik insgesamt drei Versuche, politische Interessen in Form eines Volksentscheids durchzusetzen. Keiner dieser Versuche war erfolgreich. Dem Vorstoß der KPD zur entschädigungslosen Enteignung der 1918 politisch entmachteten Fürsten hatte sich die SPD angeschlossen. Die im Januar 1926 von beiden Parteien beantragte Fürstenenteignung "zum Wohl der Allgemeinheit", wurde von namhaften Intellektuellen und Künstlern unterstützt. 12,5 Millionen Stimmberechtigte unterzeichneten in dem Volksbegehren vom 4. bis 17. März 1926 den Antrag. Damit waren die zur Einleitung eines Volksentscheids erforderlichen zehn Prozent aller Wahlberechtigten weit übertroffen worden. Ein Volksentscheid hätte sich erübrigt, wenn der Gesetzentwurf vom Reichstag in unveränderter Form angenommen worden wäre. Da die Reichstagsmehrheit den Gesetzentwurf jedoch als verfassungswidrig und demagogisch ablehnte, wurde ein Volksentscheid anberaumt. 14,5 Millionen Stimmberechtigte sprachen sich zwar am 20. Juni 1926 für eine entschädigungslose Enteignung aus, aber das waren nur 36,4 statt der erforderlichen 50 Prozent.

Kaum Resonanz fand im September 1928 das von der KPD initiierte und von einigen kleineren pazifistischen Gruppen unterstützte "Volksbegehren gegen den Panzerkreuzerbau". Da sich nur 1,2 Millionen Wahlberechtigte in die Listen eintrugen, wurde kein Volksentscheid angesetzt. Eine deutliche Abfuhr erhielten im Dezember 1929 auch die Initiatoren des Volksentscheids gegen den Young-Plan, mit dem die NSDAP, die DNVP sowie der Stahlhelm und der Alldeutsche Verband die Bestimmungen des Versailler Vertrags zu revidieren versuchten.

Auch auf Landesebene gab es Versuche, durch Plebiszite in die Legislative einzugreifen. Im Land Preußen beispielsweise hatte der Stahlhelm 1931 ein Volksbegehren zur Auflösung des Landtags beantragt, dem sich die DNVP, die DVP sowie einige Randgruppen anschlossen. Den dann am 9. August 1931 folgenden Volksentscheid trug nicht nur die NSDAP mit, sondern - nach einer Intervention Josef Stalins - auch die KPD. Im Kampf gegen die "Sozialfaschisten" mobilisierte die KPD ihre Anhänger für eine Aktionseinheit mit den "Faschisten". Für den Volksentscheid zur Auflösung des Preußischen Landtags votierten 9,8 Millionen Wähler, 13,2 Millionen Stimmen wären erforderlich gewesen.

Andreas Michaelis
16. Mai 2011

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